Alicia II
Löcher in der Fensterverdunkelung. Bru wachte gleich nach mir auf. Mit einer beinahe reflexartigen Bewegung begann sie, meine Schulter zu streicheln. Behutsam entfernte ich ihre Hand von meiner Haut.
»Nein«, sagte ich, »ich glaube nicht, daß es uns heute morgen besser gelingt. Du als Schauspielerin weißt, daß es unklug ist, ein Stück zu wiederholen, das am vorherigen Abend durchgefallen ist.«
»Was jetzt unklug ist, das ist Selbstmitleid.«
»Das mag sein, aber für mich ist es wohl besser, wenn ich mich unbemerkt davonschleiche.«
»Nein, bleib. Ich mache dir Frühstück. Ich habe …«
»Das wäre großartig, einfach großartig.«
Anmutig rollte sie sich aus dem Bett und landete auf den Füßen. Ob ich es ebenso geschickt fertigbrachte? Als Bru sich entfernte, fiel mir mein Termin bei Ben ein.
»O verdammt«, sagte ich. »Wie spät ist es?«
»Ungefähr acht. Aber die Uhr …«
»Ich muß gehen. Tut mir leid. Ich muß in einer halben Stunde irgendwo sein.«
Ich zog mich an, und Bru steckte mir währenddessen Stücke von Hörnchen in den Mund. Sie war noch nackt, und ich konnte nicht umhin, ihren Körper zu betrachten und mich zu fragen, warum, zum Teufel noch mal, ich nichts zuwege gebracht hatte.
»Wie lange wird dein Termin dich aufhalten?« erkundigte Bru sich, als ich fertig zum Gehen war.
»Es sollte nicht zu lange dauern, wenn Bens Maschinen nicht außer Betrieb sind, was häufig geschieht, aber den ganzen Vormittag bestimmt nicht.«
»Komm hierher zurück, wenn du fertig bist.«
»Ich weiß nicht …«
»Bitte. Hör mit Protesten auf, die schon überstrapaziert waren, als das erste ungünstig bestrahlte Liebespaar sein Horoskop studierte.«
»Und du meinst, du kannst …«
»Das ist mir egal. Alles. Komm nur zurück. Es kommt nicht darauf an, was wir tun oder was geschieht. Ich werde dich wieder mit Hörnchen füttern, wir werden uns über Philosophie unterhalten, wir werden zum St.-Ethel-Schrein beten, es kümmert mich nicht. Komm nur zurück.«
»Gut.«
Sie küßte mich – keusch –, und dann wischte sie mir Krumen von den Lippen. Wie sie mit bloßen Füßen dastand, kam sie mir kleiner als gestern vor, als sei sie über Nacht eingeschrumpft. Ich ging. Ich freute mich darauf, zu ihr zurückzukehren, und ich wußte nicht, daß ich nicht zurückkehren würde.
Vielleicht hätte ich nach meinem Besuch bei Ben zu ihr zurückkehren sollen. Ich machte mich einmal auf den Weg nach Hough, ich versuchte mehrmals, Bru zu besuchen. Aber was hätte ich ihr sagen können? Lügen hätte sie nicht geglaubt, und die Wahrheit konnte ich ihr nicht gestehen.
14
Ben tat, als erschrecke er, als ich mit nur drei Minuten Verspätung in seiner Praxis eintraf.
»Dich habe ich noch mindestens zwei Stunden lang nicht erwartet.«
»Nun …«
»Ich war überzeugt, du würdest erst auftauchen, wenn die Hälfte meiner Arbeitszeit vorbei sei.«
»Du hast eine Arbeitszeit?«
»Werde nicht sarkastisch. Zieh dich aus.«
»Ich dachte, in einem dieser Dinger könne man die Kleider anbehalten.«
»Das ist häretischer Aberglaube, den die Ärztevereinigung in die Welt gesetzt hat. Kleider stören die Genauigkeit der Instrumente, besonders wenn es so antiquierte sind wie meine, die schon einmal einen Schlüsselring für ein gerissenes Blutgefäß gehalten haben. Und auf jeden Fall will ich genau sehen, wie sexy der Körper ist, den man dir gegeben hat.«
»Sexy ist nicht das richtige Wort dafür. Nicht nach dieser Nacht.«
»Was ist denn in dieser Nacht geschehen?«
Eine Frage, die mir gerade recht kam. Ich berichtete ihm ruhig von meinem Erlebnis mit Bru. Ben legte seine spaßhafte Art ab und begann zu nicken, und hin und wieder ließ er sein professionelles Grunzen hören. Gleichzeitig führte er mich an den Untersuchungswürfel,
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