Alicia II
den Umständen entsprechend möglich war.
»Du bist netter, als ich erwartet hatte.«
»Wie kommst du zu diesem Urteil?«
»Ich weiß nicht. Du bist anders, du hast die meiste Zeit in einem Versteck gelebt. Deshalb kann man dich entschuldigen. Man kann dich nicht so leicht hassen wie die anderen.«
Sie zog meinen Hemdkragen zur Seite und küßte mich auf den Hals.
»Das verrät beinahe Zuneigung«, sagte ich.
»Das ist Zuneigung. Oder sollte sie dir zeigen.«
»Warum?«
Sie lachte.
»Du bist vorsichtig. Und dumm. Du hast mir eine ganze Lebensspanne voraus – hast du denn gar nichts daraus gelernt?«
»Was ich gelernt zu haben glaube, läßt sich auf diese Situation nicht logisch anwenden.«
»Wie eindrucksvoll.«
Sie beugte sich vor und küßte mich.
»Du hast gesagt, ich solle das Märchen nicht glauben, Schauspielerinnen ließen sich mit jedem Mann ein.«
»Das stimmt. Das habe ich gesagt, und es ist die Wahrheit. Dieses Märchen sollte ausgerottet werden.«
»Dann ist das für dich … ich meine, du willst nicht … du küßt mich nur als …«
Sie lachte.
»Ich habe nur gesagt, du sollst nicht an die alte Geschichte glauben, die Gunst einer Schauspielerin sei leicht zu erringen. Es ist falsch, uns mit Prostituierten gleichzusetzen. Aber ich habe nicht gesagt, daß ich es nie getan hätte.«
Ihre Küsse wurden leidenschaftlicher. Anfangs wollte ich sie nicht erwidern. Ich kam mir vor wie ein Schurke alter Schule (aus einem Theaterstück), der es sich zu Nutzen macht, daß eine Frau unter dem Einfluß alkoholischer Getränke schwach wird. Aber ich hatte Zuneigung für Bru empfunden, seit sie ihr Lied vortrug und die Theatermaschinerie befahl, ich müsse sie lieben. In der kurzen Zeit, die wir zusammen waren, hätte ich überzeugt werden können, daß ich mich in sie verlieben würde oder schon verliebt hatte. Wie dem auch sei, mir gelang es nur kurzfristig, die moralische Seite dieser Situation zu bedenken.
»Ich will es stimmungsvoller machen«, sagte sie. »Steh für eine Minute auf.«
Sie drückte einen Knopf an der Couch, und die Couch rollte zur Seite. Gleichzeitig öffnete sich eine Falltür im Boden, und darunter kam ein gemachtes Bett zum Vorschein. Plötzlich verklemmten sich die beiden Türhälften. Ihr Mechanismus surrte. Bru gab der einen einen Fußtritt, und sie öffnete sich weiter. Sobald die Türen mit einem Klick einrasteten, erklang ein weicher Flötenton, und das Bett stieg langsam nach oben.
Auf normaler Höhe hielt es an.
»Wie durch Zauberei«, stellte ich fest.
Ich trat leicht gegen die Bettseite, die mir zugekehrt war, und dachte, auf Holz oder Metall zu treffen. Aber das Bettzeug sackte lediglich nach innen. Bru lachte.
»Was ist so komisch?«
»Was du getan hast. Jeder, der noch nie so ein Bett gesehen hat, tut es, und dann machen sie immer dumme Gesichter, weil das Bett keinen Rahmen hat.«
»Wie hält es zusammen?«
»Durch Luftströme, einfach durch kontrollierte Luftströme. Ein kleines Maschinchen hebt das Bett und hält die Luftströme normalerweise in Gang, so daß das Bett nicht zusammenbricht.«
»Es kann aber zusammenbrechen?«
»Manchmal in den peinlichsten Augenblicken. Das ist eins der Dinge, warum es soviel Spaß macht.«
»Darauf will ich wetten.«
»Aber du würdest selbst dann nicht verletzt werden. Die Technik besteht hauptsächlich darin, so hineinzusteigen, daß du auch darin bleibst, und genug Verstand zu behalten, daß du nicht hinausfällst. Siehst du, es ist ziemlich alt und bewahrt seine Form nicht so gut.«
»Es ist sehr interessant.«
»Hab keine Angst. Komm, probier es aus.«
Sie nahm meine Hand, führte mich an das Bett und drückte mich hinunter. Im ersten Augenblick dachte ich, ich würde sofort wieder abrutschen, aber ich hörte Luft rauschen, und das Bett schien
Weitere Kostenlose Bücher