Alicia II
offensichtlicher Sorgfalt arrangierte Schlingpflanzen unterstrichen die mechanische Langeweile der Ausstattung. Alicias Drucke und Gemälde wirkten, als sei ihnen jede Farbe genommen. Ihre Möbel sahen auf viel zu geschmackvolle Weise steinhart aus, und sie waren auch steinhart. Man konnte einfach nicht viel tun, um die Sterilität einer rechteckigen Wohneinheit zu verbergen, in deren Wänden die lebensnotwendigen Geräte hochgeklappt waren, deren Decke nicht hoch genug war, deren Wände auf einen zuzurücken schienen, wenn man sie länger ansah.
»Setz dich«, sagte Alicia. »Ich werde mich etwa eine Stunde lang im Badezimmer aufhalten. Nein, ich komme zurück, ich muß nur …«
Sie beendete den Satz nicht, ließ eine Tür zur Seite gleiten, die aussah, als ob sie zu einem Wandschrank gehöre (es war damals ebenfalls schick, Badezimmer- und Schranktüren zu verbergen), und ich erhaschte einen Blick auf eine pfirsichfarbene Badezimmerwand, bevor Alicia die Tür hinter sich schloß. Die Konturen der Tür waren so kunstvoll versteckt, daß ich mich einen Augenblick lang fragte, ob Alicia überhaupt im Zimmer gewesen sei.
Sie blieb nicht lange fort. In der Zwischenzeit beobachtete ich einen Skiläufer, der sich auf dem Fensterbild seinen Weg einen der näheren Berge hinunter bahnte. Das Band endete, bevor er den unteren Rand des Fensters erreichte, und ich dachte darüber nach, ob er es letzten Endes schaffen und wie lange es dauern würde, bis er wieder auf den oberen Abhängen des Berges auftauchte. Alicia hatte ein loses, tunikaähnliches Gewand angezogen, dessen Blau darauf abgestimmt zu sein schien, mit dem Himmel über der Berglandschaft zu harmonieren. Doch das war nicht ihre Absicht gewesen, denn sie streckte die Hand nach dem Schalter aus, der die künstliche Aussicht kontrollierte, und fragte mich, ob es mir etwas ausmache, wenn sie abschalte. Ich antwortete, es mache mir nichts aus, obwohl ich immer noch besorgt um jenen Skiläufer war. Alicia stellte den normalen Ausblick auf die Stadt wieder her. Der Himmel hatte jetzt das falsche Blau, das Blau der Nacht. Es machte Alicia blasser, und ich hätte ihr gern vorgeschlagen, sich noch einmal umzuziehen.
»Ich hätte dir etwas anbieten sollen, bevor ich dich hier allein ließ«, sagte sie. »Warum hast du dich nicht hingesetzt?«
»Einer der Sessel hat mich gebissen.«
»Was?«
»Ich weiß es nicht, ich habe einfach vergessen, mich hinzusetzen. Ich will es jetzt tun, okay?«
»Bist du nervös?«
»Wundert dich das?«
»Nein. Möchtest du etwas Beruhigendes?«
»Ich habe so viel getrunken, daß …«
»Ich habe nicht an etwas zu trinken gedacht. Ich habe eine Bibliothek voller Pillen.«
»Nehme ich nie.«
»Ich auch nicht oft.«
»Warum hast du dann so viele?«
»Man kann nie wissen. Ich glaube, jetzt, wo ich daran gedacht habe, werde ich eine nehmen.«
Sie ließ einen Schrank neben der versteckten Badezimmertür erscheinen. Ich achtete nicht darauf, was sie ihm entnahm. Ich habe das Pillenschlucken immer für eine Privatangelegenheit gehalten, eine noch aus der Zeit stammende Einstellung, als man sich des Pillenschluckens irgendwie schämte.
Ich setzte mich in einen weißen, merkwürdig geformten Sessel, dessen Kurven wohl für einen viel kleineren Mann berechnet waren. Nachdem ich Platz genommen hatte, spürte ich, daß er sich mir anpaßte. Alicia setzte sich auf der anderen Seite des Zimmers auf eine Couch. Dabei blähte sich ihre Tunika um sie auf, und als werde der Stoff von Luftströmen gehoben, dauerte es geraume Zeit, bis er niederfiel. Sie strich eine Locke zurück und versuchte, sie mit der Hand an ihren Platz zu drücken.
»Ich hätte mir die Haare kämmen sollen oder so etwas, während ich da drin war. Ich habe einen Haar-Styler, der mir mehrere verschiedene Frisuren machen kann. Aber das Ding geht immer zum falschen Zeitpunkt kaputt. Peinlich.«
»Dein Haar ist schön so, wie es ist.«
»Verwirrt? Struppig? Du bist so höflich, Voss, so ganz Gentleman. Das paßt zu allem anderen, was du vortäuschst.«
»Was ich vortäusche?«
»Darüber möchte ich nicht sprechen.« Sie streckte die Arme zur Seite; es sah aus, als spiele sie Flugzeug. »Ah, das tut gut. Ich fühle mich besser. Die Pille wirkt. Oder ich gebe mir höllische Mühe, mir einzureden, daß sie wirkt.«
Sie steckte die Hände in Taschen ihres Gewandes, und fast sofort zog sie die linke Hand wieder heraus. Sie begann, eine Reihe von Falten in den glatten Stoff zu
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