Alicia II
Longwood Architekt, und während seiner vorhergehenden Lebensspanne hatte er die meiste Zeit auf seinem Arsch gesessen und Striche und Zahlen auf Papier gemalt. Er sagte, er habe nie viel Sport getrieben und sei ein bißchen erschrocken – das Wort war es, das er benutzte, erschrocken –, daß er diesmal einen so gewaltigen Körper erhalten habe. Was solle er damit anfangen? fragte er mich. Mich! Mir drehte sich der Magen um, aber ich schlug vor, er könne in Erwägung ziehen, den Körper in guter Kondition zu halten, er könne vielleicht diesmal einen aktiveren Beruf wählen. Er machte ein langes Gesicht. Er habe gehofft, von neuem in die Firma einzutreten. Er hatte eine eigene Firma, der Bastard, eine sehr reiche Firma, die etwas von der Größe halb Seattles baute. Und er wollte dahin zurück und gleich damit weitermachen, was er bereits sechzig oder siebzig Jahre lang getan hatte, der reiche Hurensohn. Wie es Ihnen beliebt, sagte ich, aber trotzdem müssen Sie etwas tun, um den Körper in Form zu halten, denn sonst wird er ein Pfannkuchen werden. Na und? fragte er. Ich sagte, wenn der Körper ein Pfannkuchen werde, sei er ihm nichts mehr nütze, und nicht nur das, wahrscheinlich werde er auch Jahre zu früh versagen. Er bekäme einen Herzinfarkt oder so etwas. Na und? fragte er noch einmal. Ich wollte wissen, was er meine. Er sagte, es sei vielleicht sogar besser, diesen Körper früher als normal wieder loszuwerden und einen anderen zu erhalten, der seinem Leben und seiner Arbeit angemessener sei. Als ob ein Körper etwas wäre, das ein Schneider zusammengenäht hat! Er redete weiter, etwas darüber, daß er nicht verstehe, wie die Bürokraten der Erneuerungskammer einen solchen Fehler hätten begehen können. Alle Fakten seien ihnen bekannt gewesen, sie hätten ihn niemals an einen so ungeschlachten Körper anschließen dürfen. Ihre Tüchtigkeit lasse mehr und mehr nach, das sagten alle. So quatschte er weiter und hatte nicht die geringste Ahnung, wie meine Abscheu vor ihm wuchs. Am liebsten hätte ich ihm auf der Stelle die Kehle durchgeschnitten und ihm seinen verdammten neuen Körper vor der Zeit genommen. Aber mir wäre dabei fast so zumute gewesen, als tötete ich Richard. Deshalb blieb mir nichts übrig, als dazusitzen und zu nicken und so zu tun, als stimme ich ihm zu, daß man ihm im Beinhaus einen bösen Streich gespielt habe, während man doch die Körper entsprechend dem Typ der zu übertragenden Seele auswählen müsse. Der Hurensohn, dachte ich immerzu, hätte er nicht wenigstens ein bißchen sympathisch sein können?«
Eine in ein Korsett eingeschnürte junge Dame ging an der Bank vorbei, hielt eine Sekunde inne und betrachtete Triplett und mich. Ich wußte, sie war eine Schauspielerin, die sich fragte, ob sie uns mit ihrer vorbereiteten Nummer unterhalten solle, und ich war heilfroh, als sie sich dagegen entschied und weiterging. Triplett hatte sie überhaupt nicht bemerkt.
»Nun unterrichtete ich Harry Longwood in den nächsten drei Tagen darin, Richards Körper zu benutzen. Er lernte schnell, aber ich machte Höllenqualen durch. Jedesmal, wenn er mir einen Arm um die Schultern legte, um sich bei den Übungen abzustützen, erinnerte ich mich daran, wie Richard mir so seine Zuneigung gezeigt hatte. Es war gar nicht viel Unterschied, ob Longwood den Arm um mich legte, um das Gleichgewicht zu bewahren, oder ob Richard mich an sich drückte. Gar kein Unterschied war bei dem, was ich empfand. Allmählich scheute ich mich vor jeder Berührung Longwoods, ich krümmte mich innerlich, wenn er die Hand nach mir ausstreckte. Manchmal, wenn meine Therapie besonderen Erfolg gehabt hatte, klopfte Longwood mir auf die Schulter. Dann haßte ich den Hurensohn richtig. Einer zufälligen Berührung auszuweichen, war eine Sache, und eine ganz andere war es, wenn die Berührung tatsächlich als ein, wenn auch flüchtiger, Sympathiebeweis gemeint war. Aber irgendwie ertrug ich es. Was ich selbst nicht verstand, war, warum ich mir soviel Mühe gab, ihm beizubringen, den Körper zu beherrschen. In dem Augenblick, als ich ihn sah, erkannte ich, daß ich ihn nicht töten konnte. Also warum machte ich weiter? Warum verschwand ich nicht einfach aus dem Louisville-Zentrum? Ich hatte jetzt Richards Körper gesehen, und nur aus diesem Grund war ich anfangs hergekommen. Ich hatte keinen Grund dazubleiben. Aber es wurde mir wichtig, daß Longwood, wenn er nun einmal in Richards Körper steckte, es lernte, richtig mit ihm
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