Alicia II
Er konnte sterben. Schließlich war ihm das vorherbestimmt. Er war nicht auserwählt. Aber ich mußte am Leben bleiben, dachte ich. Ich durfte nicht zulassen, daß dies Ding mich tötete. Ich griff Stacy von neuem an, und diesmal erwischte ich ihn mit voller Wucht an der Kopfseite.
Er taumelte zurück. Mein Schlag war härter ausgefallen, als es meine Körperkräfte gestatteten, als ob das Wesen in mir mich führe und mir seine Stärke leihe. Stacy fiel, erholte sich aber schnell und war wieder auf den Beinen, ehe ich ihn umbringen konnte.
Kurz gewann ich die Beherrschung zurück und bewegte mich weg von ihm. Ich erwartete, er werde Vorsicht walten lassen.
Ich hoffte, er werde von der Lichtung davonlaufen und mich allein sterben lassen. Ich hielt es nicht für möglich, daß er bleiben, ständig Abstand zu mir halten und überlegen würde, was sich tun ließe.
Ich muß komisch ausgesehen haben, wie ich da inmitten der Lichtung um mich schlug. Ich konnte nicht aufhören damit.
Das Glühwürmchenlicht hielt auf Abwechslung bei der Folter.
Mal ließ es für einen kurzen Augenblick locker, mal bohrte es sich noch schmerzhafter ein. Wieder packte mich die Wut, und ich stürmte gegen Stacy an wie ein wütender Stier. Er entwich und rannte um einen Baum – eine komische Flucht vor einem komischen Angriff. Ich rannte ihm um den Baum herum nach, halb Clown, halb Schurke. Er suchte sich andere Bäume, weiter im Wald, und dann arbeitete er sich mit Finten und Ausweichmanövern wieder zurück auf die Lichtung. Während ich ihn jagte, überkamen mich verschiedene Stimmungen, eine jede mit größerer Intensität, als ich sie je zuvor verspürt hatte.
Meine Wut loderte, meine Tränen strömten, mein Selbsthaß verzehrte mich. Von jeder Emotion erlebte ich das Extrem.
Einmal empfand ich Freude und brach in brüllendes Gelächter aus. Das veranlaßte Stacy, eine Minute lang anzuhalten und auf mich zurückzublicken. Dann drehte das Ungeheuer in mir den Schmerz wieder höher, und ich attackierte Stacy von neuem. Er reagierte schnell und rannte weiter.
Wir waren wieder auf der Lichtung. Der Nebel war nähergekommen. Er hatte die Stelle, wo Stacy die Geräte zurückgelassen hatte, überquert, beinahe als wolle er dem Spielchen, das wir trieben, zusehen. Stacy hatte keine andere Wahl, als in den Nebel hineinzulaufen. Ich mußte ihm folgen.
Der Nebel erschwerte die Jagd mehr, als es ein gewöhnlicher Nebel getan hätte. Da ich drinnen allein gewesen war, hatte ich mir nicht vorgestellt, wie undeutlich der Umriß eines Menschen werden würde. Nur an Stacys Bewegungen, ruckhaften Unregelmäßigkeiten im Fluß der Farben, konnte ich feststellen, wo er war. Wenn er ruhig stehengeblieben wäre, hätte ich ihn aus dem Auge verloren.
Das Glühwürmchenlicht ließ wieder einmal locker. Ich verlangsamte den Schritt und versuchte, Stacy zuzurufen, aber ich konnte nicht richtig sprechen. Aus meinem Mund drang eher unverständliches Gebrüll als vernünftige Sprache.
Trotzdem blickte Stacy zu mir zurück. Dann sah ich den dichten Nebelklumpen wieder, und er bewegte sich auf Stacy zu. Sofort war mir klar, daß jedes neue Eindringen diese Reaktion innerhalb des Nebels hervorrief. Der Klumpen stürzte sich auf Stacy, der nicht in seine Richtung sah, und hüllte ihn ein. Er verschwand in der Wolke, und für einen langen Augenblick konnte ich ihn nicht sehen.
Als er herauskam, schrie er.
Er rannte auf mich zu und zeigte auf seine Brust. In der Art, wie er beim Laufen schrie, wirkte er ganz so wie die früheren Opfer des Nebels. Er fiel, ehe er mich erreichte, die Hände in die Brust gekrallt. Schnell war ich bei ihm. Ich wollte ihn packen und aus dem Nebel zerren. Als ich mich zu ihm niederbückte, ergriff das teuflische Licht wieder die Kontrolle über mich, und sofort kehrte der Wunsch zurück, Hiebe auf Stacys hilflosen Körper niederhageln zu lassen. Er sah mit weit aufgerissenen Augen zu mir hoch. Ich erkannte, daß er den Atem anhielt. Etwas hatte sich verändert. Seine Atmung wurde von dem Nebel irgendwie beeinflußt. Das war mir klar, und doch ballte ich die Hände zu Fäusten und hob die Arme mit der Absicht, sein Gesicht und seinen Körper zu schlagen. Stacy sah, was ich vorhatte, und schloß die Augen.
In Gedanken sprach ich mit dem Licht, und mir war, als brülle ich es an: Nein, verdammt nochmal, nein, du wirst mich nicht dazu bringen! Dazu nicht! Nein, verdammt nochmal!
Ich zwang meine Fäuste, sich zu öffnen. Obwohl jede
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