Alicia
mit seinem Blick ihre Augen.
Sie lächelte süß, als hätten sie sich nie gezankt. »Ja, bitte«, sagte sie züchtig.
Plötzlich schien sich alles vor ihren Augen zu drehen. Sie war im Haß auf die MacGregors und die Engländer aufgewachsen. Nun war sie die Patenmutter eines MacGregors und ertappte sich dabei, daß sie diese warmherzige, fest zusammenhaltende englische Familie in ihr Herz schloß. Doch die MacGregors hatten jahrhundertelang die MacArrans getötet, und die Engländer erschlugen ihren Vater. Wie konnte sie Menschen lieben, die sie hassen sollte?
»Lady Alicia? « fragte Gavin, »ist Euch der Wein zu stark? «
»Nein«, erwiderte sie lächelnd, »alles ist fast perfekt. Und das, fürchte ich, ist mein Problem. «
Er musterte sie einen Moment lang. »Ihr solltet wissen, daß wir auch Eure Familie sind. Wenn Ihr einen von uns irgendwann braucht, werden wir zur Stelle sein. «
»Vielen Dank«, antwortete sie ernst. Sie wußte, er meinte es auch so.
Nach dem Essen nahm Judith Alicia zu einer Besichtigungstour innerhalb der Burgmauern mit. Die Burg bestand aus zwei Bereichen — dem äußeren, wo die Dienstleute wohnten, und dem inneren, stärker geschützten Bereich, der den Montgomerys Vorbehalten blieb. Alicia hörte aufmerksam zu und stellte hunderte von Fragen, die den wohlorganisierten Burgkomplex betrafen. Das Ackerland innerhalb der Burgmauern war groß genug, um die Bewohner der Anlage von jeder äußeren Nahrungsmittelzufuhr unabhängig zu machen.
Stephen hielt die beiden zurück, als sie sich in der Schmiede eine neue Technik vorführen lassen wollten.
»Gavin und ich werden nach Larenston zurückreiten, um Chris’ Leiche zu holen. «
»Tam wird ihn inzwischen beerdigt haben«, meinte Alicia.
Er nickte. »Ja, aber wir halten das für eine Ehrenpflicht seiner Familie gegenüber. Sie weiß bisher noch nicht einmal, daß er tot ist. Es wird ihnen ein wenig über den Schmerz hinweghelfen, wenn er auf ihrem Land ruht. «
Alicia nickte zustimmend. »Chris mochte Schottland nicht«, sagte sie ernst.
Er fuhr mit den Knöcheln über ihre Wange. »Es ist das erstemal seit unserer Heirat, daß wir getrennt sind. «
»Und wie lange wirst du wegbleiben? «
Er faßte sie unter dem Kinn. »Mindestens drei lange, lange Tage. Wie ich Gavin kenne, wird er hart reiten. « Er lächelte. »Jedenfalls werden wir nicht alle paar Stunden anhalten wie du und ich auf der Herreise. «
Sie schlang die Arme um seinen Hals. »Du wirst mich nicht vergessen, während du fort bist? « flüsterte sie, ihren Mund an dem seinen.
»Wie könnte ich einen Wirbelsturm wie dich vergessen«, sagte er lächelnd. Sie preßte ihren Körper fest an ihn.
»Stephen… «
Er legte zwei Finger an ihre Lippen. »Wir werden viel miteinander zu bereden haben, wenn ich zurückkomme. Bist du bereit dazu? «
Sie lächelte glücklich. »Ja, ich bin bereit. «
Nachts merkte Alicia erst richtig, wie sehr sie Stephen vermißte. Das breite Bett in der wunderhübsch gefliesten Kammer erschien ihr kalt und unerträglich. Sie dachte an Stephen, der sich nicht eine Nacht Schlaf gegönnt hatte. Sie verdammte sich dafür, daß sie nicht darauf bestanden hatte, ihn zu begleiten.
Je mehr sie darüber nachdachte, um so ruheloser wurde sie. Sie warf die Decke beiseite und ging barfuß über den eiskalten Boden zu einer Truhe in einer Ecke. Sie suchte ihre Hochland-Kleider hervor und befestigte binnen Minuten das Plaid um ihre Schultern. Vielleicht würde ein Spaziergang unten im kalten Burghof sie müde machen.
Sobald sie im Freien war, drangen Hufschläge an ihr Ohr. »Stephen! « rief sie keuchend und rannte zum Tor. Sie wußte, daß nur Angehörige der Familie nachts den Burghof betreten durften.
»Lady Mary«, hörte sie ein ruhige Stimme, »es ist schön, Euch wiederzusehen. Hattet Ihr eine angenehme Reise? «
»So gut, wie ich sie mir wünschen konnte, James«, antwortete eine sanfte, gütige Stimme.
»Soll ich Lady Judith holen? «
»Nein, störe sie nicht. Sie braucht ihren Schlaf nötiger als ich. Ich finde mich schon selbst zurecht. «
Alicia blieb im Schatten der Burgmauer und beobachtete, wie einer der Lehnsleute Lady Mary beim Absteigen half. Sie besann sich auf Stephens Worte. Er hatte seine älteste Schwester mit einer Madonna verglichen.
»Wir haben Euch schon viel früher erwartet«, sagte James. »Ich hoffe, Euch ist unterwegs nichts Unangenehmes widerfahren. «
» Eines der Kinder war krank. Ich blieb, um das Kind zu
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