Alicia
flüchtete das Mädchen schreiend aus dem Zimmer. Stephen hob den Humpen. »Willkommen», sagte er trunken.
Alicia wollte das Herz zerspringen. Sie hatte Stephen dabei ertappt, wie er eine fremde Frau anfaßte!
»Wie gefällt dir das? « fragte Stephen. Seine Augen waren rot, seine Bewegungen fahrig und langsam. »Weißt du jetzt, wie das ist, wenn man zusehen muß, wenn andere Männer mit dir kosen? «
»Du hast das absichtlich getan«, flüsterte sie. »Du wolltest mich damit strafen. « Sie drückte die Schultern nach hinten. Sie wollte ihm weh tun, daß er solche Qualen empfand wie sie. »Ich hatte recht, als ich Sir Thomas Crichton sagte, ich könnte dich nicht heiraten. Du taugst nicht zum Ehemann einer schottischen Frau. Monatelang habe ich zugesehen, wie du dich täppisch aufführtest und in allen Belangen versagt hast! «
Trotz seiner Trunkenheit reagierte er rasch. Er warf den Humpen auf den Boden, sprang auf und packte den Saum ihres Hausmantels am Hals. »Und was habe ich von dir bekommen? « grollte er. »Ich habe mir die größte Mühe gegeben, von dir zu lernen. Doch wann hast du je auf mich gehört? Du hast mich immer nur bekämpft, mich vor deinen Männern verlacht, selbst im Angesicht meiner Brüder meinen Rat in den Wind geschlagen. Ich habe mir das alles gefallen lassen, weil ich dumm genug war, zu glauben, ich liebte dich. Wie kann ein Mann eine Frau lieben, die so selbstsüchtig ist wie du? Wann bist du endlich erwachsen genug, dich nicht ständig hinter deinen Klan zu verstecken? Du sorgst dich gar nicht so sehr um deinen Klan, sondern suchst nur deinen Willen und deine Wünsche durchzusetzen. «
Er schob sie von sich, als sei er ihrer plötzlich überdrüssig. »Ich bin es leid, einer kalten Frau Gefühle einhauchen zu wollen. Ich werde mir eine suchen, die mir auch geben kann, was ich brauche. «
Damit drehte er sich um und torkelte aus dem Zimmer.
Alicia blieb lange vor der verlöschenden Glut stehen. Sie hatte nicht geahnt, daß er sie so sehr verachten könne. Wie oft hatte er ihr schon sagen wollen, daß er sie liebte? Aber sie hatte es nicht hören wollen.
Was gab es, daß ihr mehr bedeutete als Stephens Liebe? Sie sah nun ein, daß es nichts gab, was auch nur annähernd so wichtig war. Sie hatte seine Liebe in ihren Händen gehalten und sie ihm ins Gesicht geschleudert. In Schottland hatte er hart daran gearbeitet, gerecht zu sein und die Lebensart der Schotten zu erlernen. Doch was hatte sie getan, sich ihm anzupassen? Ihre größte Konzession war gewesen, die Luxuskleider der englischen Edelfrauen zu tragen, und selbst darüber hatte sie sich beschwert.
Sie ballte die Hände. Stephen hatte recht! Sie war egoistisch, selbstsüchtig. Sie hatte verlangt, daß er ein Schotte werden sollte, sich bis in die Fasern seines Charakters hinein verändern mußte. Doch sie hatte nichts für ihn getan. Von dem Augenblick an, als sie sich kennenlernten, hatte sie ihn für das Privileg, sie heiraten zu dürfen, bezahlen lassen.
Tränen liefen ihr über das Gesicht. Er liebte sie nicht mehr. Er hatte es gesagt. Sie hatte seine Liebe besessen und sie weggeworfen wie Abfall.
Sie sah mit tränenumflorten Augen um sich. Stephen war gut und seine Familie war gut. Sie hatte ihn gehaßt, weil er ein Engländer war, wie sie auch die MacGregors haßte, weil sie MacGregors waren. Doch Stephen hatte ihr gezeigt, daß es auch gute MacGregors gab und warmherzige, großzügige Engländer.
Stephen hatte ihr das gezeigt! Er hatte ihr so viel beigebracht; doch sie hatte ihn nur mit Kälte und Zorn belohnt. Sie hatte ihn mit Drogen betäubt, ihn verflucht, ihn gedemütigt — alles getan, um ihn vor den Kopf zu stoßen.
Sie hatte sich dagegen gewehrt, einen Engländer zu lieben. Sie wollte nicht lieben, weil sie fürchtete, ihr Klan würde das als Schwäche auslegen, als Würdelosigkeit, die sie unfähig machte zur Chefin eines Klans. Doch Tam hatte ihn geliebt, und viele ihrer Männer ihn mindestens geschätzt.
Sie wandte sich zur Tür und ging leise hinaus in den Burghof. Vielleicht fand sie Stephen dort.
»Stephen ist vor ein paar Minuten weggeritten«, sagte eine leise Stimme hinter ihr.
Sie drehte sich um. Es war Miles. Auch dieser Mann war freundlich zu ihr gewesen. Er hatte sie vor einem Schänder beschützt und sie in seinen Armen gehalten.
Plötzlich streifte sie ein kalter Wind. Sie wollte wieder nach Hause. Vielleicht fiel ihr in Schottland ein, was sie tun konnte, um Stephens Liebe
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