Alicia
waren die letzten Worte, die sie für eine ziemlich lange Zeit sprechen konnte. Denn er holte mit der Faust aus, und wenn sie nicht geistesgegenwärtig den Kopf zur Seite genommen hätte, hätte er ihr das Kinn zerschmettert. So streifte er nur ihre Wange, und sie knickte nach vorn und verlor das Bewußtsein.
Als sie wieder zu sich kam, lag sie mit gefesselten Händen und Füßen und geknebelten Mund auf Stroh. Räder rumpelten unter ihr. In ihrem Kopf pochte es. Ihr Mund war trocken und geschwollen von dem Knebel.
»Sie ist wach«, hörte sie eine Männerstimme.
Der Wagen hielt, und Roger Chatworth beugte sich über sie. »Wir befinden uns in einem Wald, und niemand wird Eure Schreie hören. Ihr könnt einen Schluck Wasser haben. « Er reichte ihr einen Becher, nachdem er sie von ihrem Knebel befreit hatte. »Trinkt! « sagte er ungeduldig.
Sie schluckte begierig das Wasser.
»Wo bringt Ihr mich hin? « fragte sie keuchend.
Roger nahm den Becher wieder fort. »Vielleicht lassen sich die Montgomerys Eure unverschämten Fragen gefallen. Ich nicht. Wenn Ihr etwas wissen sollt, werdet Ihr das schon erfahren. « Er packte sie bei den Haaren, verschloß ihren Mund wieder mit dem Knebel und warf sie auf das Stroh zurück.
Den nächsten Tag verbrachte Alicia in halb bewußtlosem Zustand. Roger hatte Getreidesäcke über sie werfen lassen, um sie vor den Blicken Neugieriger zu verstecken. Der Mangel an Luft und Bewegung wirkte wie ein Betäubungstrank. Sie hatte Schwindelanfälle und Halluzinationen.
Zweimal holte man sie aus dem Wagen, gab ihr etwas zu essen und erlaubte ihr, ihre Notdurft zu verrichten. In der dritten Nacht hielt der Wagen an. Die Säcke wurden entfernt, und grobe Hände hoben sie aus dem Wagen. Die kalte Nachtluft traf sie, als würde sie in eiskaltes Wasser geworfen.
»Bringt sie nach oben«, befahl Roger. »Sperrt sie in das Ostzimmer. «
Alicia hielt die Augen geschlossen und ihren Körper schlaff, als ein Mann sie über die Treppe hinauf in das Zimmer trug. Es war schwierig, sich wie eine Ohnmächtige zu benehmen, während der Mann ihre Fesseln löste und den Knebel aus ihrem Mund entfernte. Am schwierigsten wurde es, als dieser Kerl ihre Haare und ihr Gesicht betastete. Sie verfluchte ihn dafür, daß er sie berührte, doch er gab ihr auch Zeit, ihre Gedanken zu sammeln und die Gefühllosigkeit in ihren Armen und Beinen zu überwinden, weil das Blut wieder normal durch ihren Körper zirkulierte.
»Einige bekommen doch alles«, sagte der Mann, der ihr die Fesseln abgenommen hatte, nachdenklich. Mit einem Seufzer erhob er sich von ihrem Bett.
Alicia wartete, bis sie Schritte hörte, und hoffte, sie entfernten sich zur Tür hin. Sie öffnete die Lider zu einem Schlitz und gewahrte, daß er zögernd bei der Tür stehen blieb. Sie drehte rasch den Kopf und sah eine Wasserkanne auf dem Tisch neben dem Bett. Sie rollte darauf zu, packte die Kanne und schleuderte sie quer durchs Zimmer. Sie zerbarst an der Wand.
Dann lag sie wieder regungslos auf dem Bett, die Lider zu Schlitzen geöffnet. Der Mann lief zu der Stelle, wo der Krug gegen die Wand geprallt war, und im Nu war Alicia vom Bett herunter und lief zur Tür. Ein Knöchel knickte unter ihr ein; doch sie lief weiter, ohne einen Blick auf den Mann an der Wand zu werfen. Sie packte den Griff der schweren Tür, warf sie hinter sich zu und schob den Riegel vor. Schon hörte sie die Faustschläge, die von innen gegen das Holz trommelten; doch die dicken Eichenbohlen dämpften das Geräusch.
Sie hörte Schritte, und konnte sich gerade noch in einer dunklen Fensternische verstecken, als Roger Chatworth im Gang auftauchte. Er hielt vor der Tür und lauschte auf das Pochen und die unverständlichen Laute hinter der Tür. Alicia hielt den Atem an. Doch Roger lächelte zufrieden und ging an ihr vorbei zur Treppe.
Alicia ließ sich nur Sekunden Zeit, damit ihr Herz sich etwas beruhigen konnte. Sie rieb sich die schmerzenden Hand-und Fußgelenke und folgte Roger dann auf Zehenspitzen die Treppe hinunter.
Unten wandte er sich nach links und betrat ein Zimmer. Alicia barg sich im Schatten der halb offen stehenden Tür. Sie konnte durch den Spalt zwischen Pfosten und Tür den kleinen Raum fast gänzlich überblicken. Ein Tisch und vier Stühle standen darin, und in der Mitte des Tisches brannte eine dicke Kerze. Eine schöne Frau saß mit dem Profil zu Alicia. Sie trug ein schimmerndes Gewand aus purpur-und grüngestreiftem Satin, das im Kerzenlicht wie
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