Alicia
während sie mit ihren Männern verhandelte. Ihre Schultern waren noch gerade; aber nicht so steif, als müsse sie jeden Moment Schläge abwehren oder zornig aus der Haut fahren.
Er beobachtete die Gesichter der Männer in seiner Nähe. Sie respektierten sie, hörten aufmerksam zu, und jedes Urteil, das sie verkündete, war weise und im besten Interesse ihres Klans.
»Jamie hat sie gut auf ihr Amt vorbereitet«, sagte Tam leise hinter ihm.
Stephen nickte. Hier lernte er sie von einer ganz anderen Seite kennen — von einer Seite, deren Existenz er nicht einmal geahnt hatte. Er kannte sie als jähzornige, impulsive Frau, die mit dem Messer auf Männer losging und ihren Haß über Engländer ausgoß. Und er erinnerte sich daran, wie er sie ausgelacht hatte, als sie vor ihm mit nassen Röcken im eiskalten Wasser lag.
Plötzlich plagte ihn die Eifersucht. Diese Frau, die so gelassen vor diesen Männern saß und Entscheidungen traf, die deren Leben änderten, hatte er nie gekannt. Diese Männer kannten eine Seite ihres Wesens, die sie ihm nicht einmal andeutungsweise gezeigt hatte.
Alicia erhob sich und schritt zur Treppe im Hintergrund der Halle. Stephen folgte ihr. Und dann kam ihm die Erinnerung an ihre Kniekehlen, und er lächelte in sich hinein. Davon wußten wiederum diese Männer nichts.
»Schau ihn dir an«, sagte Alicia verächtlich. Sie stand am Fenster ihrer Kammer im dritten Stock und sah hinunter in den Hof, wo Stephen und Chris in voller Rüstung ihren Männern die Kampfesweise englischer Ritter vorführten. Die Schotten standen im Kreis um die beiden und verfolgten den Drill mit finsterem Schweigen.
Sie waren nun seit zwei Wochen verheiratet. Sie hatte achselzuckend zugehört, wie er ihren Mannen die Wichtigkeit eines schützenden Panzers predigte. Er hatte sich sogar erboten, denjenigen, die am fleißigsten übten, eine Rüstung auf eigene Kosten zu besorgen. Doch die Schotten hatten wenig oder gar kein
Interesse daran gezeigt, sich mit kostbarem, aber schwerem und schweißtreibendem Metall zu verhüllen. Sie bevorzugten immer noch ihr barbarisches Kostüm, das wichtige Teile des Körpers ungeschützt, ja sogar entblößt ließ. Die einzige Konzession, die Stephen bei ihnen erreichte, war ein kurzes Kettenhemd unter dem Plaid.
Alicia wandte sich vom Fenster ab und lächelte in sich hinein.
»Ihr habt keinen Grund, so selbstgefällig und schadenfroh zu sein«, fauchte Morag. »Eure Männer können ein bißchen Bewegung recht gut gebrauchen. Die meiste Zeit sitzen sie nur faul herum. Stephen bringt sie wenigstens zum Schwitzen. «
Alicia schüttelte lächelnd den Kopf. »Er ist ein halsstarriger Mann. Gestern wagte er sogar, meinen Männern vorzuhalten, Schottland sei ein unruhiges Land, das sich besser gegen seine Feinde schützen müsse. Als wüßten wir das nicht selbst! Es sind doch nur die Engländer, die uns… «
Morag hob abwehrend die Hand. »Ihr könnt meinetwegen Euren Gatten mit Euren ständigen Nörgeleien zum Wahnsinn treiben, doch mich verschont damit. Was stört Euch eigentlich so sehr an ihm? Wollt Ihr ihn dafür bestrafen, daß er Euch nachts zum Stöhnen bringt? Seid ihr ihm gram, weil Ihr von einer Leidenschaft zu einem Mann ergriffen seid, den Ihr als Feind Eurer Landsleute betrachtet? «
»Ich bin ihm nicht… « Alicia hielt inne, als sie die Tür klappen hörte. Sie drehte sich um; aber es war nur Morag gewesen, die sich entfernt hatte, weil sie ihr zürnte, wie sie Stephen behandelte.
Alicia wandte sich wieder dem Fenster zu. Sie mußte zugeben, daß sie zutiefst beunruhigt war, wie ihr Körper reagierte, wenn er sie berührte. Oft wurden ihr schon die Knie weich, wenn die Sonne unterging. Doch sie hütete sich, Stephen ihre Gefühle zu zeigen. Sie machte weder Annäherungen noch sagte sie ihm ein zärtliches Wort. Er gehörte ja zu den Leuten, die ihren Vater erschlugen. Tagsüber war es leicht, den Feind in ihm zu sehen. Da kleidete er sich wie ein Engländer, sprach und dachte wie ein Engländer. Aber nachts, wenn er sie berührte, vergaß sie allzuschnell, was sie beide waren.
»Stephen! « sagte Chris, als sie an den Rand der Burg traten und hinaussahen auf die See, »es hat keinen Sinn. Sie wollen nicht verstehen. «
Stephen nahm seinen Helm ab. Die kalte Brise spielte mit seinen verschwitzten Haaren. Seine Männer übten jeden Tag fleißig den Umgang mit Rüstung und Waffen. Alicias Männer hingegen standen abseits und begafften die Engländer wie Tiere aus
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