Alicia
später bereute er schon, daß er nachgegeben hatte. Er stand neben Tam im kalten Herbstwind und hatte sich in seinem Leben noch nie so nackt gefühlt. Statt der schweren, wattierten, warmen englischen Kleider trug er nur noch ein dünnes Hemd und ein Plaid, das über den Hüften gegurtet war. Zwar hatte er an den Füßen Wollsocken und Stiefel, aber dennoch konnte er sich des Gefühls nicht erwehren, er wäre bis zum Gürtel hinauf nackt.
Tam schlug ihn auf die Schultern. »Komm schon, Junge, du gewöhnst dich schnell daran. Wenn du die Haare noch ein bißchen länger wachsen läßt, bist du von einem Schotten kaum noch zu unterscheiden. «
»Aber das ist ein verdammt kaltes Land, in dem ich mit bloßem Hintern herumlaufen muß! « murrte Stephen und hob Hemd samt Plaid, um seine nackte Kehrseite zu zeigen.
Tam lachte. »Nun weißt du, was ein Schotte unter dem Plaid trägt. « Sein Gesicht wurde ernst. »Aber wir sind nicht ohne Grund so gekleidet. Das Plaid ist eine perfekte Tamung im Heidekraut. Unser Anzug kann rasch gewechselt oder ausgezogen werden. In Schottland regnet es oft, und wer zu lange nasse Kleider auf der Haut trägt, erliegt bald einer Lungenkrankheit. Das Plaid kühlt im Sommer, und das dauernde Aneinanderreiben der Knie hält dich im Winter warm. « Er blinzelte. »Und die kostbarsten Teile werden ständig von frischer Luft umspült. «
»Das kann man wohl sagen«, meinte Stephen.
»Ah, jetzt seht Ihr endlich wie ein Mann aus! « rief Morag hinter ihm. »Von dem vielen Eisen, das Ihr dauernd mit Euch herumgeschleppt habt, bekamt Ihr wenigstens Muskeln! « Sie betrachtete voller Anerkennung seine Beine.
Stephen grinste. »Wäre ich nicht schon verheiratet, würde ich dich in die engste Wahl ziehen. «
»Und vielleicht nähme ich Euch sogar«, gab sie zurück. »Obwohl ich mit Alicia nicht um Euren Besitz kämpfen möchte. «
Stephen sah sie düster an. »Sie würde mich gern an jeden verschenken, der mich nähme. «
»Solange sie dich in ihrem Bett behalten kann, wie? « entgegnete sie und lachte scheppernd.
Stephen sah der Alten blinzelnd nach. Der familiäre Ton, der in so einem Klan herrschte, war doch immer wieder ein Schock für ihn. Hier schien jeder über die intimsten Dinge des Nachbarn Bescheid zu wissen.
»Wir vergeuden nur unsere Zeit«, sagte Tam. »Versuche, bis zu dieser Stange dort zu laufen! «
Stephen hatte geglaubt, Laufen wäre leicht. Schließlich war er ja schon als Kind gerannt und fühlte sich in guter körperlicher Verfassung. Doch nach dem ersten schnellen Sprint brannten ihm die Lungen wie Feuer. Er brauchte Minuten, bis das rasende Pochen seines Herzens sich wieder legte.
»Hier, trink einen Schluck Wasser«, sagte Tam und hielt ihm eine Schöpfkelle hin. »Wenn du wieder zu Atem gekommen bist, wiederholen wir das Ganze. «
Stephen sah ihn ungläubig an.
»Nun los schon, Junge«, sagte Tam. »Du willst dich doch von so einem alten Mann, wie ich es bin, nicht besiegen lassen! «
Stephen legte, immer noch nach Luft ringend, die Kelle beiseite. »Alt könnte ich Euch beim besten Willen nicht nennen! Also dann — es kann wieder losgehen! «
7. Kapitel
Alicia stand allein am Fuß der Treppe, die zur Brüstung des alten Turms hinaufführte. Vor einer Stunde hatte ihr einer von den Bauern eine silberne Gürtelschnalle gebracht. Auf der Rückseite war eine Widmung eingraviert: »Für Ennis von James MacArran. «
Alicia erinnerte sich wieder an die Zeremonie, als ihr Vater den drei jungen Männern, die als sein Nachfolger in Betracht kamen, diese Gürtelschnallen überreicht hatte. Es war fast wie ein Fest gewesen damals. Es wurde geschmaust, getrunken und getanzt, und so mancher hatte ihr zugezwinkert und sie gefragt, für wen sie sich denn nun entscheiden würde. Doch Alicia hatte nur gelacht und so getan, als könnten alle drei ihrem Vater nicht das Wasser reichen.
Nun waren sie alle tot. Die hübschen jungen Männer, mit denen sie geflirtet hatte, verrotteten irgendwo in einem Grab. Ihr Bruder hatte sich voller Haß von ihr abgewendet. Es gab weder Liebe noch Lachen mehr auf Larenston. Der englische König hatte sie mit einem der Mörder ihres Vaters vermählt. Sie betrachtete voller Wehmut die Waffen ihres Vaters, die an der Wand hingen, seine Äxte, die Claymores, die Pfeile und die Bögen. Sie berührte die abgewetzte Stelle an ihres Vaters Lieblingsbogen und ließ sich in seinen Stuhl fallen, daß der Staub aufwirbelte. Seit Jamies Tod hatte sie
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