Alicia
« Sie wandte sich wieder ab. Stephen faßte sie an den Armen.
»Das ist es nicht allein. Dich bedrückt noch etwas. Was? «
»Was soll mich schon bedrücken? Ich bin mit meinem Feind verheiratet. Ich… «
Stephen legte ihr den Finger auf die Lippen. »Da ist noch ein anderer Kummer«, sagte er ruhig, während er forschend ihr Gesicht betrachtete. Sie senkte die Augen, damit er den Schmerz nicht sah, der sich darin spiegelte. Er fuhr mit den Händen an ihren Armen entlang. Er spürte, wie sich ihre linke Hand fest um etwas schloß. »Was ist das? « fragte er behutsam.
Sie suchte sich seinem Zugriff zu entziehen, doch er zwang ihre Finger auseinander. Er starrte auf die Gürtelschnalle, las die Gravierung. »Hat dir jemand das heute übergeben? «
Sie nickte stumm.
»Gehörte die Schnalle deinem Vater? «
Sie senkte die Augen und konnte nur nicken.
»Alicia«, sagte er mit bewegter, tiefer Stimme, »schau mich an. « Er legte die Hand an ihr Kinn und hob es sacht an. »Es tut mir von Herzen leid. «
»Wie kannst du wissen, wie das ist? « schnappte sie und entzog sich seiner Hand. Im stillen verfluchte sie sich, daß sie fast auf seine Nähe und Worte hereingefallen wäre.
»Ich weiß, was es bedeutet, Vater und Mutter zu verlieren«, sagte er geduldig. »Ich bin überzeugt, der Schmerz war für mich genauso groß wie für dich. «
»Aber ich habe deinen Vater nicht ermordet! «
»Und ich auch nicht deinen! Jedenfalls nicht mit meinen Händen! « sagte er heftig. »Hör mich an, nur ein einziges Mal — als Ehemann, nicht als politische Schachfigur! Wir sind verheiratet. Das ist eine Tatsache. Nichts läßt sich daran mehr ändern. Wir könnten glücklich sein. Ich weiß, daß wir das könnten, wenn du nur bereit wärst, uns eine Chance zu geben. «
Ihr Gesicht verhärtete sich, ihre Augen wurden kalt. »Und dann prahlst du vor deinen Leuten, eine Schottin fräße dir aus der Hand? Wirst du versuchen, meine Männer genauso auf deine Seite zu ziehen, wie dir das heute mit meinen Frauen gelungen ist? «
»Auf meine Seite! « rief Stephen. »Tod und Verdammnis! Ich habe fast den ganzen Tag damit verbracht, bei diesem kalten Wetter mit nackten Beinen und, Entschuldigung, nacktem Hintern zu laufen, um dir und den Leuten, an denen dir so viel liegt, zu gefallen! « Er schob sie von sich fort. »Geh und wälze dich in deinem Haß. Ich werde dich auch nachts mit meiner kalten Gegenwart verschonen. « Er drehte sich um und ließ sie auf der Treppe stehen.
Alicia blieb eine Weile vollkommen regungslos, ehe sie langsam die Stufen hinunterging. Sie wollte ihm vertrauen. Sie brauchte einen Ehemann, dem sie vertrauen konnte. Aber wie vermochte sie das? Was geschah, wenn ihr Land von plündernden Engländern angegriffen wurde? Konnte sie von Stephen erwarten, daß er gegen seine Landleute kämpfte?
Sie wußte, wie sie auf seinen Körper reagierte. Wie leicht war es für sie, ihre Unterschiede zu vergessen und seinen süßen Berührungen und seiner zärtlichen, wohlklingenden Stimme zu unterliegen. Aber wenn sie vorsichtig und wachsam sein mußte, waren ihre Sinne abgestumpft. Sie konnte sich das nicht leisten. Sie durfte das Leben ihres Klans nicht aufs Spiel setzen, nur weil sie eine genußreiche Zeit im Bett mit einem Mann verbrachte, der ein englischer Spion sein konnte.
Sie setzte sich in den kleinen Garten hinter dem hohen steinernen Haus. Sie konnte ihm nicht trauen. Sie wußte, daß er Brüder hatte. Vielleicht rief er sie zu Hilfe, wenn er eine Bresche in Alicias Verteidigungsbereitschaft geschlagen hatte. Würde er sich vor seinen Brüdern damit brüsten, daß sie ihm jeden Wunsch erfüllte, wenn er ihre Kniekehlen küßte?
»Alicia. «
Sie drehte sich um. »Was ist, Douglas? « Sie blickte in die braunen Augen des jungen Mannes. Sie konnte darin die gleiche stumme Frage lesen, die sie in allen Augen ihrer Männer sah. Sie wußten nicht, ob sie Stephen vertrauen durften, und warteten auf ihr Urteil. Und danach würde auch sie beurteilt werden. Falls sie sich irrte, verlor sie das Vertrauen ihres Klans.
»Mir wurde zugetragen, daß die MacGregors heute abend einen neuen Überfall auf unsere Weiden planen. «
Alicia nickte. Sie wußte, daß Douglas einen Informanten in den Reihen des anderen Klans hatte. »Hast du das schon anderen mitgeteilt? «
Douglas zögerte. Er las ihre Gedanken richtig, daß ihre Frage sich ausschließlich auf Stephen bezog. »Niemand. «
Sie sah hinaus auf das Meer. »Ich
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