Alicia
diesen Raum nicht mehr betreten.
Die Engländer! dachte sie. Sie glaubten, ihnen gehörte die Welt. Sie haßte die Art, wie Stephens Männer vor ihn hintraten, sich verbeugten, mit dem Fuß scharrten und ihn »Mylord« nannten. Die Engländer waren ein kaltes Volk. Sie hatte hunderte Male versucht, ihm zu sagen, wie Schotten sich benahmen; doch er war zu eitel, ihr auch nur zuzuhören.
Sie lächelte für sich. Wenigstens wußten ihre Männer, wer hier Chef war. Sie lachten hinter Stephens Rücken. Den ganzen Vormittag über hatten sie sich Geschichten von der mißlungenen Strafexpedition gegen die Rinderdiebe erzählt. Wie lächerlich Stephen ausgeschaut haben mußte, als er in seiner törichten Rüstung vor ihren Männern stand!
Ein Lärm unten im Hof lenkte sie von ihren Gedanken ab. Sie trat ans Fenster. Zunächst erkannte sie Stephen gar nicht. Sie glaubte, sie sähe einen gutgebauten jungen Mann, der mit übertriebenem Selbstbewußtsein auftrat. Sein gegurtetes Plaid schwang in aufreizender Weise um seine muskulösen Beine. Sie schnaubte entrüstet, als ihr bewußt wurde, daß Stephen es war, der da so arrogant über den Hof schritt und das Plaid trug, als habe er ein Recht dazu.
Mehrere von ihren Leuten standen auf dem Hof umher. Sie war froh, als sie bemerkte, daß sie keine Anstalten machten, ihn zu begrüßen. Sie konnten mit einem Blick erkennen, daß sich hier nur ein Engländer verkleidet hatte! Doch dann erlosch ihr Lächeln, als die Männer der Reihe nach zu Stephen kamen. Sie sah ihn lächeln. Er sagte etwas und hob kurz den Schoß seines Plaids an. Sie hörte, wie Gelächter über den Hof hinrollte.
Douglas — ihr Douglas! — trat vor und streckte Stephen einen Arm hin. Stephen packte ihn, und die beiden begannen, Arme und Knöchel aneinandergestemmt, im Stehen zu ringen. Kaum eine Minute später lag Douglas im Staub.
Sie sah empört zu, wie Stephen der Reihe nach ihre Männer zum Ringen herausforderte. Sie holte scharf Luft, als Margaretes Tochter, ihre Hüften herausfordernd schwingend, vortrat und ihren Rock anhob, damit Stephen ihre hübschen Beine sehen konnte. Und dann führte sie Stephen wahrhaftig ein paar Hochland-Tanzschritte vor!
Alicia wandte sich vom Fenster ab, verließ den Raum und schloß die Tür hinter sich ab. Zorngeladen eilte sie die Treppe hinunter. Stephen stand mit blitzenden Augen und geröteten Wangen auf dem Hof. Seine Haare waren noch naß von den Laufübungen im Freien. Hinter ihm waren ein paar von seinen Leuten versammelt, und vor ihm standen ihre Leute und bemerkenswert viele junge, hübsche Frauen.
Er sah sie an wie ein Junge, der seiner Mutter einen Gefallen tun wollte. »Na — habe ich bestanden? «
Sie musterte ihn finster, übersah dabei geflissentlich seine muskulösen Beine. »Vielleicht kannst du einige täuschen, doch für mich bist du ein Engländer und wirst es immer bleiben. Daß du deine Kleidung geändert hast, bedeutet noch lange nicht, daß sich deine Absichten gewandelt haben! « Sie drehte sich um und ging wieder ins Haus.
Stephen blieb einen Moment stimrunzelnd stehen. Vielleicht wollte er tatsächlich, daß sie seine englische Herkunft vergaßen. Vielleicht…
Tam schlug ihn auf die Schulter. »Nun mach nicht so ein betrübtes Gesicht! «
Stephen drehte sich um und bemerkte, daß die schottischen Männer lächelten, als Tam fortfuhr: »Wenn sie auch ein guter Boß ist, bleibt sie dennoch eine Frau. Kein Wunder, daß sie erzürnt ist, wenn du mit anderen Frauen tanzt. «
Stephen lächelte kläglich: »Ich wünschte, du hättest recht. «
»Warum gehst du nicht hinein und versuchst, sie zu beruhigen? «
Stephen wollte darauf erwidern, daß er es Alicia nie recht machen könnte. Aber was nützte es, wenn er darüber auch noch laut klagte? Stumm folgte er ihr die Treppe hinauf. Er fand sie über einen Webstuhl gebeugt. Sie gab den Frauen Anweisungen, welche Fäden sie als Einschuß für ein neues Plaid verwenden sollten.
»Stephen! « rief eine der Frauen, »seht Ihr aber gut aus! « Die hübsche junge Frau betrachtete begehrlich seine nackten Beine.
Stephen drehte sich um; aber das Lächeln fror ihm auf den Lippen ein, als er Alicias Gesicht sah. Sie warf die Tür hinter sich zu, und er holte sie erst wieder am Kopfende der Treppe ein. »Was hast du nur? Ich dachte, gerade dir müßte es gefallen, daß ich diese Kleider trage! Du verlangtest doch, ich sollte ein Schotte werden. «
»Schottische Kleider machen noch keinen Schotten.
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