Alien 1: Vierhundert Milliarden Sterne
erglühen, und das Schriftband hob sich dunkel gegen
sie ab. Während der neue Männliche unsicher näher kam,
leuchteten Lichtbögen um seinen Körper auf, als seien sie
durch seine Bewegungen aktiviert worden. Dorthy spürte ein
Prickeln auf ihrem Kopf. Jedes einzelne Haar hatte sich aufgerichtet
und suchte Abstand vom nächsten. Der Empfänger an ihrem Ohr
heulte, obwohl sie ihn ausgeschaltet hatte. Der neue Männliche
warf die Arme um den Kopf und keuchte, während er von einem
Fuß auf den anderen hüpfte. Sein schwarzes Fell
sträubte sich.
Vorsichtig senkte Dorthy ihre Hand zum Gürtel und
umfaßte den Griff des Messers.
Unterhalb der Rampe, weit unten in der Tiefe, leuchteten jetzt
deutlich die Umrisse einiger Türme in einem fahlen Schimmer.
Entladungen zuckten zwischen ihren Spitzen hin und her, drehten sich
schneller und schneller, bis sich zwischen ihnen eine Lichtquelle
gebildet hatte, die sich immer mehr ausweitete. Der Heulton in
Dorthys Empfänger schwoll an und stieg eine Tonstufe höher.
Unwillkürlich schrie sie auf, als irgendwo in ihr ein heikler
Vorsatz ins Gleichgewicht pendelte. Schwebend, bereit…
Der neue Männliche stürzte sich auf sie. Dorthy
riß das Messer nach oben. Hinter ihr zuckte ein greller Blitz
auf. Die Kreatur stürzte sich auf sie. Mühelos drang die
Klinge in den unförmigen Körper. Dorthy wurde zu Boden
gerissen. Das Gewicht des Hüters drückte ihre Hand zur
Seite. Sie verspürte einen scharfen, durchdringenden Schmerz,
und gleichzeitig flammte vor ihren geschlossenen Lidern eine
große, lautlose Nova auf. Einen Moment lang hoben sich die
feinen Äderchen dunkel gegen den grellen roten Schein vor ihren
Augen ab.
Dann war es vorbei.
Sie lag zusammengekrümmt unter dem neuen Männlichen. Der
Chamäleon-Umhang war naß von seinem Blut. Ihr Handgelenk
war verrenkt und schmerzte höllisch, als sie das Messer aus dem
Körper über sich zog. Mit einiger Mühe kroch sie unter
dem Hüter hervor und richtete sich auf. Armer Kong!
Das Licht war jetzt nur noch das rote Glühen verstreuten
Phosphors. Weit unten erhoben sich die Türme wieder in stumpfer
Dunkelheit.
Rufe und Geheul hallten durch die weiten Anlagen der Burg,
Schmerzensschreie und Botschaften zwischen den einzelnen Gruppen
neuer Männlicher, fragend, beratend, informierend. Dorthy rannte
beinahe in einen Horde von sechs Hütern hinein, aber ihr
plötzliches Auftauchen erschreckte die Wesen so sehr, daß
sie Hals über Kopf davonstoben. Einige rannten die lange Biegung
der Rampe hinunter, andere kletterten hastig – aber trotz ihrer
Verwirrung sehr wendig – die Ranken nach oben. Zweimal benutzte
Dorthy den dichten Pflanzenbewuchs der Wand, um sich vor anderen
Grüppchen von Hütern zu verstecken, die sich über die
Abgründe hinweg mit ihren Artgenossen zu verständigen
versuchten.
Ihr Handgelenk tat höllisch weh, und die Hand war mit
gerinnendem Blut verklebt. Die Analogie in ihrem Verstand versickerte
langsam wie Wasser im Sand. Dorthys Furcht, sie würde sich
festsetzen und zukünftig ihr Selbst beherrschen können,
wich bei ihrem Abstieg allmählich. Erst jetzt dachte sie daran,
ihren Empfänger wieder einzuschalten, und sofort hörte sie
Andrews’ drängende Stimme an ihrem Ohr. »Ich bin
hier«, antwortete sie. »Mir geht es gut.«
»Sie sind jetzt vermutlich nur noch eine Ebene über mir.
Wollen Sie, daß ich hinaufkomme?« fragte Andrews
zurück.
»Nein, warten Sie dort auf mich.« Dorthy trat an den
Rand der Rampe. Wenige Meter tiefer befand sich eine Terrasse.
Kurzerhand kletterte Dorthy an den Ranken hinab. Unter ihr sagte
Andrews: »Das war irgendein Feuerwerks-Display. Die ganze
Konstruktion hier wurde vom Fuß bis zur Spitze
illuminiert.«
»Ich weiß, denn ich steckte mitten in dem
Lichtzauber.«
»Was haben sie gemacht?«
»Ich…« Aber das Wissen entzog sich ihr, oder
zumindest der genaue Anlaß für das alles. »Ich
glaube, daß die Hüter inzwischen genug gelernt haben, um
die Burg zu benutzen, und meine Anwesenheit war für sie eine
Bedrohung und aktivierte ihre Instinkte. Ob die Gefahr der
Auslöser war, oder der Selbsterhaltungstrieb… Tut mir leid,
eben war mir das Ganze noch klar, aber jetzt, wo ich darüber
nachzudenken versuche, entgleitet mir alles wieder. Es ist einfach zu
fremd, zu verschieden, um Bestand haben zu können.«
»Das alles sollten wir später ein wenig sortieren«,
brummte Andrews. »Machen wir, daß wir von diesem Ding
herunterkommen, ehe Sie noch andere
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