Alien 2: Verborgene Harmonien
bitte den Gefallen und kümmere dich
ein wenig um Rick. Ich glaube, er hatte auch genug von ihren
Ideen.«
Damit verschwand de Ramaira zu seinen anderen Gästen. Lena
fragte Rick: »He, Sie sind doch hoffentlich niemandem
böse?«
»Zumindest keiner bestimmten Person.«
»Machen Sie sich nichts draus. Die reden hier oben immer
schrecklich viel, als ob sich durch Reden allein die Probleme
lösen ließen.«
Sie hatte nicht Caths modisch spröde, kühle
Schönheit, doch ihr eckiges, von dichten schwarzen Haaren
umrahmtes Gesicht wurde belebt durch ihre schelmische Intelligenz.
Ein breiter, aufreizender Mund, schmale lange Nase. Goldgesprenkelte
haselnußbraune Augen, die seinem Blick offen begegneten.
»Kommen Sie oft her?« fragte Rick. »Gefällt es
Ihnen hier?«
»Manchmal.« Eine Augenblick wußte Rick nicht,
welche der beiden Fragen sie damit beantwortet hatte. Sofort
fügte sie hinzu: »Dr. de Ramaira ist schon okay. Aber ich
habe immer stärker den Verdacht, daß dies alles hier von
ihm nur für Jon arrangiert wird – sozusagen als Teil seines
Trainings.«
»Sie mögen Jon?«
»Nun, wir kommen gut miteinander klar. Sehr gut, vermutlich.
Er ist sehr klug. Aber vielleicht sehen Sie das anders.«
»Ich bemühe mich immer, nicht vorschnell über
andere zu urteilen.«
Sie lachte. »Er ist sehr klug. Und es macht Spaß, mit
ihm zusammenzusein. Wir haben eine schöne Zeit miteinander. Aber
seine Freunde, zumindest ein paar von ihnen, sind schon ziemlich
seltsame Vögel.«
Rick folgte ihrem Blick und bemerkte zwei junge Männer, die
sich eng umschlungen hielten und lange Küsse tauschten. Er
schaute beiseite. »Sie sprechen von Web?«
»Er ist nicht seltsam, sondern nur sehr unzufrieden mit sich
und der Welt. Ich bemühe mich, ihn zu mögen. Aber seine
Art, wie er manchmal auf Leute losgeht… Ich meine, er ist einer
der klügsten Menschen, die ich kenne, aber manchmal denke ich,
nur sein Intellekt sei erwachsen, und alles andere sei in den
Kinderschuhen steckengeblieben. Aber ich sollte so nicht von ihm
sprechen. Vermutlich habe ich schon zu viel getrunken.«
»Den gleichen Eindruck macht Web auch auf mich. Machen Sie
sich also deswegen keine Sorgen. Zum Teufel mit ihm! Erzählen
Sie mir lieber, ob Ihr Vater immer noch in diesem Quartett
spielt.«
Lena lächelte. »Er war der Leiter des Ensembles. Ich
dachte, Sie seien ein Fan von ihm.«
»Seit meiner Graduierung habe ich kaum noch Zeit für den
Besuch von Konzerten. Vermutlich habe ich dadurch etwas den
Anschluß verloren.«
»Wir treten immer noch auf – und sind leicht zu
finden.«
»In der Konzerthalle im Park? Sie sagten ›Wir‹,
nicht wahr? Sie spielen also auch mit?«
»Die zweite Violine. Aber ich habe nicht vor, damit meinen
Lebensunterhalt zu verdienen. Deshalb studiere ich an der Uni
Hydroponik.«
Sie unterhielten sich über Musik und lehnten dabei die ganze
Zeit einträchtig nebeneinander am Geländer, hatten die
übrigen Partygäste völlig vergessen. Rick
erzählte Lena, daß er als Nichtgraduierter bei
Gottesdiensten in der Stadt Keyboard gespielt hatte, um sich
über Wasser zu halten, und daß er heute noch manchmal Bach
spielte, um sich zu entspannen.
»Diesen alten Tyrannen!« rief Lena.
»Sie mögen Bach nicht? Beim Hören seiner besten
Kompositionen habe ich das selbe Gefühl wie beim Lösen
einer mathematischen Gleichung. Ich habe dann den Eindruck, ich
stünde zum Beispiel vor einer unendlich hohen Kathedrale. Bei
Bach, Mozart und einigen anderen…«
»Oh, Bach ist nicht verkehrt. Aber ich habe seine Stücke
schon so oft gespielt. Seine Kompositionen lassen einem keinen
Spielraum, um sich selbst auszudrücken. Sie gehen einem direkt
in die Muskeln, und man muß das zulassen, sonst kann man ihn
nicht spielen. Ein richtiger alter Tyrann.« Dagegen liebte sie
die Lyriker des 19. und 20. Jahrhunderts. »Bei kritischer
Betrachtung kaum akzeptabel, aber dafür dieses Gefühl einer
eigenen, ganz persönlichen Landschaft in Elgars Violinkonzert.
Er schlägt den ganzen Kanon der System-Komponisten. Was
soll’s? Ich werde nie die Möglichkeit haben, ein paar
meiner Favoriten öffentlich zu spielen. Es gibt einfach zu wenig
Musiker auf dieser Welt, um ein Orchester auf die Beine zu
stellen.« Sie machte eine weitläufige Handbewegung in die
Nacht unterhalb des Geländers, über die dunklen
Dächer, die sich hügelabwärts senkten, und deutete auf
die Lichter der Stadt. Ein paar silberne Armbänder an ihrem
Handgelenk klirrten
Weitere Kostenlose Bücher