Alien 2: Verborgene Harmonien
langen schwarzen Haaren, die Stirn
blutverschmiert, weil er Widerstand geleistet und versucht hatte,
sich aus dem Griff der beiden Cops zu befreien. Sie hatten ihn dort
im Foyer zu Boden geschlagen und einen ›Friedensstifter‹
bei ihm angesetzt, eine kleine Maschine, die viele dünne Beine
um seinen Hals legte und ihn augenblicklich paralysierte. Danach
hatten die Beamten ihn hinausgeschleppt – genau wie bei einem
Krimi im Trivia-Programm. Den Namen des Arbeiters hatte sie
inzwischen schon wieder vergessen, wußte auch sonst nichts mehr
über ihn – außer, daß er zu ihr immer sehr
höflich gewesen war. Und das traf wirklich auch für die
meisten Leute aus den Siedlungen zu. Nein, die Polizei wußte
schon, wie sie ihren Job zu erledigen hatte!
Sie ließ den Hausboy allein, der Zentimeter für
Zentimeter die hölzernen Bodendielen säuberte, und ging zur
Tür, wo der neue Mieter durch die Scheiben auf die regennasse
Straße hinausschaute. Schreckliches Wetter, obwohl es alles in
allem ein schöner Sommer gewesen war. »Nicht gerade das
richtige Wetter zum Ausgehen«, sagte sie. »Wenn man nicht
unbedingt muß…«
»Sicher haben Sie recht.«
»Natürlich gibt es auch welche, die jetzt draußen
sein müssen. Mein Mann beispielsweise arbeitet im Freien und
holt sich möglicherweise einen Schnupfen oder gar eine
Lungenentzündung dabei.« Ihre Stimme wurde schrill.
»Sie müssen wissen, seit seiner Einberufung zur FVS
muß er den ganzen Tag im Freien arbeiten, selbst bei solch
einem Wetter. Er hilft beim Bau dieser Verteidigungsanlagen. Wenn er
heimkommt, ist er für alles zu müde. Er hängt dann den
ganzen Abend nur noch vor dem Trivia-Schirm oder schläft.
Früher half er bei größeren Aufträgen hier in
der Gegend und verdiente gutes Geld. Aber das ist ja jetzt alles den
Bach runter. Zum Heulen, das Ganze. Er war Aufseher in der
Elemente-Raffinerie Drei. Man sollte doch denken, daß diese
Arbeit wichtiger ist als die beim Bau des Verteidigungswalles. Ich
meine, die Art, wie die Stadt ihre Helfer auswählt, ist falsch.
Finden Sie nicht?«
Ja, er stimmte ihr zu und starrte dabei auf die verregnete
Straße, als warte er ungeduldig darauf, hinausgehen zu
können. Die Concierge betrachtete sein Profil. Die Augen sind
das Schönste daran, dachte sie. Groß, von unbestimmbarer
Farbe… Kinderaugen.
Sie wußte, daß der Regen so schnell nicht nachlassen
würde, und fuhr fort: »Vielleicht sollten wir dankbar sein,
daß sie noch nicht mit dem Schießen begonnen haben.
Harry, mein Mann, und jeder an der Linie – so nennen sie den
Verteidigungswall… nach ähnlichen Anlagen bei den
historischen Kriegen auf der Schoßwelt, richtig? Also, jeder
sagt, es wird nicht mehr lange dauern, bis etwas passiert. Sobald das
Wetter sich beruhigt, wird’s Ärger geben. Ich weiß
nicht, was ich davon halten soll. Nach all dem, was die Siedler mit
den armen Leuten anstellten, die aus Arcadia zu fliehen versuchten,
fragt man sich, was sie wohl als nächstes tun werden.«
Der Mieter reagierte nur mit einem kaum wahrnehmbaren
Achselzucken.
Sie bemerkte, daß er nicht auf ihre Worte einging, redete
aber trotzdem weiter. Ohne es zu wollen, hatte sie sich in Rage
geredet. »Ich kann nicht begreifen, was sie dazu treibt, so
etwas zu tun. Ich habe bestimmt ebenso viele Siedler kennengelernt
wie jeder hier in der Stadt, zumal immer ein paar von ihnen bei uns
wohnen…« – sie machte eine längere Pause, doch
der Mann ließ sich nicht aus der Reserve locken –,
»…und das waren, wie ich weiß, immer sehr
anständige Leute. Viele erzählten mir, daß sie die
Lebensweise in der Stadt nicht sonderlich mochten. Aber das war ja zu
erwarten, nicht wahr? Das Leben hier ist sicher ganz anders, als sie
es gewohnt sind. Ich denke, auf dem Land ist es ruhiger. Trotzdem
kann ich nicht verstehen, warum sie unbedingt wollen, daß wir
ebenso leben wie sie. Leben und leben lassen, sage ich immer. Aber
vermutlich sind Sie froh, all dem entwischt zu sein.«
Der letzte Satz, den sie besser unausgesprochen gelassen
hätte, entschlüpfte ihr ungewollt. In Erwartung seiner
Reaktion hielt sie unwillkürlich den Atem an.
Ausgerechnet in diesem Moment ließ der Hausboy sein
hilfloses Pfeifsignal ertönen. Die kleine Maschine hatte sich in
einer Ecke festgefahren. Der neue Mieter sagte: »Ich muß
jetzt gehen«, und eilte in den Regen hinaus.
Er kam erst am Spätnachmittag zurück. Die Concierge
hatte gerade die Beleuchtung im Foyer eingeschaltet.
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