Alien 4: Die Herren der Erde
aber natürlich war das nicht möglich.
So lauerte ich begierig auf die Wortfetzen, die sich die Frauen
kurzatmig zuflüsterten, wenn sie die leeren Platten in die
Küche brachten und darauf warteten, daß sie wieder
gefüllt wurden. Eine Frau erzählte meiner Mutter, der
Fremde habe behauptet, seine Familie hätte vor Hunderten von
Jahren einmal hier in der Gegend gelebt. Eine andere berichtete, die
Waffe, mit der er uns alle zu Boden gestreckt hatte, sei ein kleiner
Metallstab. »Wie schön, daß dies alles hier bei uns
geschieht«, sagte sie und eilte mit einer großen
Fruchtschale, die sie auf der Schulter balancierte, wieder
hinaus.
»Ein nettes Gastgeschenk«, knurrte meine Mutter und
stocherte mißmutig in ihrem Essen herum. »Was haben wir
davon? Dieser kleine Stab kann weder die Lämmer auf die Welt
noch die Saat in den Boden bringen, während alle Männer den
Burschen fasziniert bestaunen.«
»Zu meiner Zeit kannten wir solche Taschenspielereien
nicht«, sagte die Großmutter. »Wir kannten nicht mal
Glühbirnen, nur Laternen und Kerzen. Obwohl ich das Licht von
heute mag. Es flackert wenigstens nicht.«
»Eins steht jedenfalls fest«, meinte meine Mutter.
»Er ist nicht hergekommen, um uns etwas zu verkaufen. Um so
weniger wird er uns etwas Neues beibringen. Es würde mich nicht
wundern, wenn er sich einige Zeit auf unsere Kosten sattißt, um
dann wieder zu verschwinden.«
Aber ich wollte unbedingt, daß der Fremde blieb, wollte ihn
wie alle unsere Männer anstaunen.
Später am Abend kam mein Verlobter herübergeritten, und
wir hockten uns an den Feldrain. Seine Hündin hatte sich in
diskretem Abstand von uns ausgestreckt und den Kopf auf die
gekreuzten Vorderpfoten gelegt.
Ich erzählte Elise die Neuigkeiten. Doch er wurde
wütend. »Wahrscheinlich ist er nur ein
Schwindler.«
»Aber wie hätte er dann tun können, was er gemacht
hat? Du bist nur eifersüchtig, weil nicht deine Familie ihn
zuerst entdeckt hat.« Irgendwie hatte ich das Gefühl, der
Fremde gehöre mir – als hätte ich ihn verzaubert und
dann zum Hof gebracht. Ja, genau wie in einem dieser alten
Märchen. Indem ich ihn verteidigte, verteidigte ich auch mich.
»Ich bin sicher, daß mein Vater dich ihm vorstellen wird,
wenn du ihn darum bittest. Dann wirst du ja sehen, daß er kein
Schwindler ist. Er ist echt, Elise, wie du und ich aus Fleisch und
Blut.«
»Ich weiß nicht.«
»Frag meinen Vater nur. Das ist schon in Ordnung, denn bald
wirst du ja ein Mitglied unserer Familie sein.«
»Darum geht es nicht. Ich will es einfach nicht, Clary.
Dieser Mann wird bald wieder verschwinden, und nichts hat sich
geändert. Du wirst sehen.« Er beugte sich zu mir
herüber und gab mir einen flüchtigen Kuß auf die
Wange. Ich lehnte mich an ihn und streichelte durch sein
kurzgeschnittenes Haar. Elise war ein großer, schlaksiger
Junge, aber sehr sanft, und auch richtig hübsch, wenn er
lächelte. Ich war nicht gefragt worden, ob er mir gefiel –
alle Hochzeiten bei uns im Wald wurden vorher zwischen den Parteien
ausgehandelt. Für meine Hand erhielt mein Vater Wegerechte durch
das Land von Elises Familie. Ich hatte wirklich keine Wahl. Ich
selbst war der Ansicht, mit Elise einen guten Fang gemacht zu haben,
und so drängte ich ihn jetzt auch nicht, den Fremden zu
treffen.
Da saßen wir nun Seite an Seite in der Dämmerung.
Hinter uns schimmerten die Lichter des Hofes. Jenseits der Felder
ragte dunkel der Wald auf. Die ersten Sterne blinkten am Himmel, und
man konnte ein paar der rasch dahingleitenden Lichter erkennen, von
denen Seyour Mendara mir einmal erzählt hatte, es seien Schiffe,
so groß wie ganze Städte, die auf ewig durch den Himmel
kreuzten. Ich kuschelte mich an Elise, fühlte die harten Muskel
an seinem Arm, die angenehme Wärme seines Körpers und
dachte über den Fremden nach, fragte mich, von welchem der
Lichter dort oben er herabgestiegen sein mochte, und warum – bis
es für Elise Zeit wurde, nach Hause zu gehen. Er wünschte
meiner Mutter eine gute Nacht und ritt davon.
Später lag ich in meinem Bett und konnte nicht einschlafen.
Meine Gedanken kreisten um den Fremden, und ohne es zu wollen, sah
ich sein blasses Gesicht vor mir, sah wieder, wie er mir das Messer
reichte, sah ihn wieder auf dem Moos im Wald liegen. Er war irgendwo
in diesem Haus, unter demselben Dach. Diese Vorstellung war aufregend
und beunruhigend zugleich, und ich lauschte auf irgendein
Geräusch, das seine Nähe verriet, hörte aber nichts
außer den
Weitere Kostenlose Bücher