Alissa 2 - Die geheime Wahrheit
schloss alles aus. Sie spürte eine leichte Wärme, als Bailics zweiter Bann heftig brannte. Dann fiel das graue Zeug ab, denn sein Schutz war verbraucht, und der Hain stand ihr in all seiner momentanen Scheußlichkeit wieder vor Augen.
Nutzlos sandte ihr ein leises »Danke, Alissa« , das sie aus vollem Herzen erwiderte, denn es war sein Feld gewesen, das sie beide gerettet hatte. Der Bann war sehr einfach konstruiert gewesen – er sollte alles verbrennen, bis nichts mehr übrig war. Sie war furchtbar wütend darüber, dass Bailic es wagte, sie als Teil seiner Strategien zu benutzen.
Alissa rappelte sich auf und begegnete kurz Strells erleichtertem Blick. Sie beide waren hier eher eine Belastung denn eine echte Hilfe, doch sie würde nicht gehen, und sie wusste, dass auch Strell bleiben würde, und sei es nur, um Bailics Ende selbst mit anzusehen. Lodesh nahm das, was einmal ihr Kinn gewesen war, in seine Hand und wandte ihren Blick von Strell zu sich herum. »Seid Ihr verletzt?«, fragte er, die Brauen vor Besorgnis gerunzelt. Alissa schüttelte den Kopf und fragte sich, wie es dazu gekommen war, dass zwei solche Männer sich derart um sie sorgten.
»Verflucht sollst du sein, Bailic«, schäumte Nutzlos. »Du warst mir lang genug ein Riss in der Schwinge.«
Bailic erwiderte seinen finsteren Blick, offensichtlich zutiefst enttäuscht, dass seine Falle entdeckt worden war, ehe sie Alissas und Nutzlos’ Pfade zu Schlacke verbrennen konnte. Dann zuckte er mit den Schultern und begann vor sich hin zu kichern wie über einen heimlichen Witz, während er sich langsam weiter von ihnen entfernte.
Lodesh und Nutzlos wechselten einen ängstlichen Blick. »Sie geht zu schnell unter«, murmelte Lodesh und schaute nach Westen. Alissa folgte seinem Blick dorthin, wo die Sonne sich dem Horizont näherte und in einem beinahe unwirklichen Rot erglühte.
Ein schrilles Lachen drang aus Bailics Kehle. »So ist es!«, gackerte er, und sein Irrsinn schallte durch den Hain. Alissas Augen wurden schmal, als sie zusah, wie er vor Freude beinahe tanzte. Das Einzige, was ihn vor dem augenblicklichen Tod schützte, war ihr Buch, das er an sich drückte. Ihres, dachte sie hitzig. Es hatte ja keine Ahnung, was es da tat.
»Jetzt könnt Ihr mich nicht mehr aufhalten!«, prahlte Bailic zwischen Anfällen irren Gelächters. »Es ist zu spät. Zu spät für Euch! Ich habe schon gewonnen!«
Nun hatte Alissa endgültig genug, und sie bedachte ihn mit einem verächtlichen Blick. »Wie?« , fragte sie so, dass alle, Bailic eingeschlossen, sie in ihren Gedanken hören konnten.
Bailics Lachen erstickte in einem gurgelnden Laut. Tiefe Stille senkte sich herab, als alle sich zu ihr umdrehten. Lodesh war offenbar verblüfft darüber, dass sie ihr Schweigen gebrochen hatte, nickte aber. Anscheinend wusste er, was sie vorhatte, und war mit ihrem Plan einverstanden. Nutzlos jedoch runzelte konsterniert die Stirn. Strell wartete ab und zeigte keinerlei Gefühlsregung, während Bailics Gelächter der Fassungslosigkeit wich.
»Wie?«, wiederholte Bailic keuchend. »Kein Raku, kein Meister der Feste, kann wortlos mit einem Bewahrer sprechen.«
Alissa richtete sich zu ihrer vollen, beeindruckenden Größe auf und drückte die Schwingen fest an sich, damit sie nicht verräterisch zitterten. Die Strahlen der untergehenden Sonne trafen sie und färbten ihren goldenen Leib blutrot. »Ich« , sagte sie und hoffte, dass ihre ausgesandten Gedanken nicht verrieten, wie viel Angst sie in Wahrheit hatte, »bin eine Meisterin der Feste und Sch ü lerin derselben. Ich tue, was mir beliebt.«
Ihre Beschützer neben ihr warteten stumm ab.
Bailic kniff die Augen zusammen, während er die Situation überdachte.
Ihr Herz raste, als sie ihre geschützte Position verließ und sich vor Bailic setzte. Der blasse Mann beobachtete mit unverhohlener Faszination, wie sie ihren Schwanz nicht einmal, sondern zweimal um ihren ganzen Körper schlang. »Es gab einmal eine Zeit« , murmelte sie und betrachtete eine ihrer bösartigen Klauen in dem Versuch, selbstsicher zu wirken, »da habt Ihr mich gebeten, mich Euch anzuschließen und Euch meine Augen zu leihen. Gilt dieses Angebot noch?«
Bailic begriff und wich einen Schritt zurück. »Ihr seid … Alissa«, hauchte er. »Das also ist der Zweck des Buches. Ich kann kaum glauben, dass so etwas möglich ist!« Begierig leckte er sich die Lippen. »Kann … kann jeder dieses Wissen nutzen?«
Alissa spürte den bohrenden Blick
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