Alissa 2 - Die geheime Wahrheit
nur tat, um Bailic zum Schweigen zu bringen. Die darauf folgende Explosion ließ die Bäume erzittern und den Boden beben. Doch Bailics Schutz war undurchdringlich, und er richtete sich mit trotzigem Lächeln wieder auf. Nutzlos warf einen Blick auf ihn und wandte sich dann ab. »Solange er dieses Buch in Händen hält, kann er alles, was wir ihm entgegenschleudern, noch zu seinem Vorteil nutzen. Unsere Angriffe stärken tatsächlich seinen Schutz.«
Während er sprach, überkam Alissa ein seltsames Gefühl der Entfremdung, und sie schüttelte den Kopf, um dieses spaltende Gefühl loszuwerden.
»Er kann vielleicht nicht viel gegen uns unternehmen …« Nutzlos hielt inne und warf ihr einen scharfen Blick zu. Sie konnte nicht sprechen; ihre Gedanken waren vernebelt. Nun konnte sie sich nicht einmal mehr erinnern, was sie eben noch so gestört hatte, also starrte sie ihn nur zufrieden an. »… doch wir können ihn auch nicht überwältigen«, beendete Nutzlos den Satz. Er runzelte tief in Gedanken die Stirn, und Alissa wandte sich Bailic zu. Sie konnte den Blick nicht mehr von seinem bitteren Lächeln abwenden. Sosehr sie sich auch bemühte, sie konnte sich nicht erinnern, wie man das Gleichgewicht hielt. Fasziniert beobachtete sie, wie die Bäume zur Seite kippten.
»Talo-Toecan?«, sagte Strell besorgt.
»Einen Augenblick, Pfeifer«, kam die barsche Antwort.
»Talo-Toecan …«, versuchte er es erneut, als sie erstarrte.
»Was ist denn?« Nutzlos drehte sich mit verärgerter Miene um.
»Vorsicht! Sie fällt!«, schrie Lodesh und sprang zurück.
Alissas Kiefer schlug mit einem scharfen Knall auf dem Boden auf. Der metallische Geschmack von Blut strömte unter ihre Zunge, doch sie konnte weder schlucken noch vor Schmerz aufschreien.
»Bei den Wölfen!«, fluchte Lodesh. »Was habt Ihr mit ihr gemacht?«
Benommen, aber nicht bewusstlos, beobachtete Alissa, wie Bailic selbstsicher einen Schritt näher trat. Sie spürte, wie hilfloser Zorn sich in Strell zusammenballte, und staunte über seinen Mut. Seine geringen Fähigkeiten reichten nicht einmal aus, um sich selbst zu schützen, und doch stellte er sich vor sie. Sie nahm all ihre Konzentration zusammen und erinnerte sich, wie sie den Kopf leicht herumrollen musste, bis sie ihn sehen konnte. Dann verlor sie jeglichen Antrieb, sich überhaupt zu bewegen.
Lodesh kniete mit Nutzlos auf der anderen Seite ihres Kopfes, und die beiden versuchten verzweifelt, den Bann zu brechen, unter dem sie stand. Bailic musste ihn schon zuvor geschaffen und bereitgehalten haben, denn nur so hatte er die verräterische Resonanz verhindern können. Alissa erinnerte sich an das Geschick, mit dem er zahlreiche Felder zugleich gehalten und den Staub zu Skulpturen geformt hatte, und erkannte nun, dass dieses Kunststück auch einen praktischen Nutzen hatte. Doch warum so viel Mühe für einen Bann aufwenden, der nur verwirrte und leicht betäubte?
Bailic kicherte. »Eure neue Gefährtin, Talo-Toecan?«, rief er höhnisch in die hektische Stille. »Sie ist sehr jung – sogar für Eure Verhältnisse.«
Lodesh warf Bailic mit glimmenden Augen einen Blick zu. »Gebt sie frei.«
»Ich kenne sie ja noch gar nicht«, führ Bailic fort. »Hattet Ihr sie vielleicht die ganze Zeit über irgendwo versteckt – um sie für Euch zu behalten?«
Nutzlos ignorierte seine Andeutungen und suchte weiterhin nach einer Möglichkeit, sie zu befreien. Lodesh stand auf. »Ich sagte, gebt sie frei«, wiederholte er, und durch sein unendlich gelassenes Benehmen schimmerte nun Zorn.
»Ach?« Bailics Stimme troff vor gespielter Überraschung. »Nun aber, Stadtvogt. Ihr habt Euch doch gewiss nicht dazu verstiegen, jetzt schon einem Raku nachzustellen?«
Lodesh errötete, und seine Miene war auf einmal von erschreckendem Hass erfüllt. Doch er kam nicht mehr dazu, etwas zu sagen, denn Nutzlos stieß einen lautlosen Ruf des Triumphes aus. Aber als Nutzlos den Bann von ihr löste, merkte sie, dass es nicht einen, sondern zwei Banne gab – der erste überlagerte und verbarg den zweiten. Und dieser würde ihrer beider neuronale Netzwerke zu weniger als Asche verbrennen.
»Falle!«, kreischte Alissa in Nutzlos’ Verstand hinein, sobald ihr Geist ihr wieder gehorchte. Mit einem Schnappen, das ihren ganzen Körper schüttelte, formte Nutzlos ein Feld, das ihrer beider Gedanken schützte und ihre Pfade unter einer Schicht aus weichem Grau isolierte. Plötzlich war der Euthymienhain verschwunden; sein Feld
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