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Alissa 3 - Die verlorene Wahrheit

Alissa 3 - Die verlorene Wahrheit

Titel: Alissa 3 - Die verlorene Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dawn Cook
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zur Mauerkrone auf. »Bist du eine Bestie, Lodesh?«, höhnte er.
    »Wenn wir sie hereingelassen hätten«, rief Lodesh herunter, »dann hätte die Seuche auch in der Stadt gewü tet. Alle wären verloren gewesen.«
    Ren verließen die Kräfte, und er sank auf die Knie. »Sie waren nicht alle krank. Sie wollte nur ihre Kinder retten, unsere Kinder.« Ren erstickte ein Schluchzen. »Jene, die sie vor meinen mörderischen Händen bewahrt hatte.« Ein tiefes, unheimliches Stöhnen entrang sich ihm, und er ließ es wachsen; er fürchtete sich vor diesem Laut, aber noch mehr davor, was in ihm geschehen wü rde, wenn er ihn nicht herausließ. Er steigerte sich zu einem unerträglichen, verzweifelten Heulen und gipfelte in einem scharfen, qualvollen Schrei. Er rang keuchend nach Luft und fragte sich, ob er noch bei klarem Verstand war.
    »Ich konnte nicht aufhören«, flüsterte er. »Die Träume haben mich in meinem Kopf verbrannt. Grauenvolle Träume, Lodesh. Sie haben mich gedrängt, mich aufgestachelt, mir Erleichterung versprochen, wenn ich sie nur wahrmachte. Ich dachte, ich sei damit allein, und verbarg meine Träume vor Kally, doch sie hatte sie auch – und die Kinder. Oh, die Kinder! Wir sind dem Wahnsinn verfallen, genau wie der Rest der Welt. Alle wahnsinnig«, stöhnte er, »weil der sanfte Gedanke ans Töten uns nicht mehr schlafen ließ. Er versprach uns, dass er weggehen und uns in Frieden lassen würde, wenn wir nur genug töteten.«
    Das zu erzählen verlieh ihm Kraft, und Ren hob die Stimme. Er konnte nicht mehr aufhören. »Die Kinder sind dem Versprechen zuerst erlegen«, sagte er leidenschaftslos. »Sie haben das Vieh ermordet. Es war deutlich zu sehen, dass das schwierig gewesen sein muss, vor allem für die Kleineren. Sie waren ja nicht sehr stark. Sie haben dazu benutzt, was immer sie in die Hände bekommen konnten. Und was sie hinterließen, war über ihr rotes Schlachtfeld verteilt.« Er holte Luft. »Das Laub hat sich früh verfärbt in jenem Jahr, Lodesh, die Bäume standen wie verrostet in der Sommerhitze.«
    Die Mauer schwieg.
    »Ich habe versucht, es aufzuhalten«, sagte Ren, dem nun übel und schwindlig war. »Das Versprechen wurde nie stärker, nie schwächer, und es hörte niemals auf. Ich weiß, was ich getan habe. Ich habe mir selbst dabei über die Schulter gesehen. Ich konnte mich schreien hören, doch diese Hände um den Hals meiner Tochter, das waren nicht meine!« Ren hob den Kopf. »Das waren nicht meine!«, tobte er, und seine Stimme hallte von der Mauer wider. Seine Augen waren trocken. »Ihre angstvollen Laute könnte ich vielleicht noch vergessen, doch die Stille danach – niemals.«
    »Ren«, sagte Lodesh mit von Entsetzen gedämpfter Stimme.
    »Halt den Mund, Stadtvogt«, knurrte Ren. »Ich nenne dich nicht mehr bei deinem Namen. Denn du bist kein Mensch. Du hast deine Menschlichkeit gegen deine feigen Mauern eingetauscht.«
    Ein kleiner Stein glitt von der Mauer und wirbelte eine Staubwolke auf, als er mit einem gedämpften Geräusch auf den Boden schlug. »Ich habe die Seuche nicht verursacht«, sagte Lodesh. »Ich beschütze davor, was ich kann. Der Rest deiner Armee ist abgezogen, zur Vernunft gekommen. Geh mit ihnen nach Hause.«
    »Ich habe kein Zuhause«, flüsterte Ren, doch dann erhob er sich und klopfte sich aus reiner Gewohnheit den Staub von den Kleidern, obgleich das bei seinem mit Staub verkrusteten Umhang nichts mehr nützte. »Bist du wirklich so blind?« Seine Stimme war ein dünnes, müdes Band. »Du hast die Seuche vielleicht nicht verursacht, aber deine Meister haben es getan.«
    »Das genügt!«, schrie Lodesh zornig.
    »Was willst du denn unternehmen?«, erwiderte Ren mit einem bitteren Lachen. »Herunterkommen und mich verprügeln?« Ren ließ die Arme herabhängen und starrte auf das Tor und Lodesh, der darüber stand. »Für die sind wir nichts als Hengste und Stuten«, sagte er, »deren Zweck es ist, Bewahrer zur Welt zu bringen. Aber nicht zu schnell!«, rief er mahnend. Er wurde immer erregter. »Oh nein!«, höhnte er. »Denn dann könnten sie die Kontrolle verlieren, und das«, endete er beinahe fröhlich, »geht ja nun wirklich nicht.«
    »Ren«, protestierte Lodesh, »was du da sagst …«
    »Ist vollkommen logisch!«, schrie er und zeigte mit zitterndem Finger empor. Langsam ließ er den Arm wieder sinken. »Eine ganz besondere erbliche Konstellation ist erforderlich, um einen Bewahrer hervorzubringen. Und sie hatten die Kontrolle darüber

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