Alissa 3 - Die verlorene Wahrheit
gelang es Alissa, sie in den Garten und zur Feuerstelle zu dirigieren. Sie setzten sich im Dunkeln auf den kalten Stein: Bestie schäumend, Alissa panisch. Alissa vermutete, dass Bestie gar nicht gemerkt hatte, dass sie die Kontrolle übernommen hatte, denn sonst hätten sie sich verwandelt und wären davongeflogen. Alissa kämpfte darum, einen Finger zu rühren, zu zwinkern, irgendetwas, und wurde immer ängstlicher, bis plötzlich, als wäre eine Seifenblase geplatzt, die Kontrolle wieder ganz bei ihr lag.
Alissa schnappte nach Luft. Eine eiskalte Woge schwappte über sie hinweg. Besties Gedanken wurden panisch. Alissa hatte recht gehabt. Bestie hatte nicht bemerkt, dass sie die Kontrolle übernommen hatte. Doch nun wurde es ihr bewusst, und Besties bestürztes Geheul durchdrang Alissas Geist.
»Ich habe mein Wort gebrochen!’«, schrie Bestie. »Ich habe dir den Wind gestohlen, obwohl ich versprochen hatte, das nie zu tun. « Sie zögerte. »Du wirst mich zerstören. Das musst du! Auf mich ist kein Verlass!«
Alissas wild pochendes Herz beruhigte sich, als sie Bestie so bestürzt erlebte. Und da Redal-Stan nicht bemerkt hatte, was geschehen war, konnten sie vielleicht allein eine Lösung finden. »Bestie«, sagte Alissa bestimmt und bemühte sich, ihre Angst zu verbergen. »Du hast einen Fehler gemacht. Warum? Was war heute anders?«
»Du bist nicht zornig?«, fragte Bestie furchtsam.
»Ich koche vor Wut«, sagte Alissa sanft, »aber es war dir offensichtlich nicht bewusst, dass du die Kontrolle übernommen hattest.«
»Nein«, wimmerte Bestie.
»Das ist in letzter Zeit oft geschehen.« Alissa war kalt, nicht nur wegen der nächtlichen Kühle, und sie entzündete das bereits aufgeschichtete Holz und neigte sich dicht über die Flammen. Die Feste ragte finster über ihr auf. Dieselben Mauern, dieselben Steine, voller Leben, doch ohne jenes eine, das sie suchte.
»Ich weiß«, sagte Bestie zerknirscht. »Es tut mir leid.«
Alissa seufzte und fragte sich, warum sie in letzter Zeit solche Schwierigkeiten mit Bestie hatte. »Und jetzt ist Lodesh von einem unbeachteten Narren zum Kandidaten für das Amt des Stadtvogts geworden.«
Bestie schwieg und versank in einer Flut von Elend.
Allein in ihren Gedanken, widmete sich Alissa ganz ihrer Sorge über Besties Fehltritt. Unbeabsichtigt oder nicht, es war geschehen. Sie saß da und grübelte und wollte sich nicht vom Fleck rühren. An der Feuerstelle fühlte sie sich wieder wie sie selbst.
Der Mond war versunken, und die Sonne ging beinahe auf, als Connen-Neute lautlos herabsegelte und sie aus einem ungemütlichen Dämmerschlaf weckte. Er starrte sie an, und seine goldenen Augen blickten besorgt. Er wusste, dass es Bestie gewesen war, die da gesprochen hatte, und nicht Alissa. »Und?«, fragte sie, obwohl sie das Gefühl hatte, es sei ohnehin alles vergebens.
»Die Wahl der Feste ist auf Lodesh gefallen. Man hat erkannt, dass seine Albernheit nur ein Trick ist, mit dem er sich der Verantwortung entziehen will. Seine scheinbare Gutgläubigkeit, die ihn leichter beeinflussbar macht, gilt als größerer Vorzug als Earans Loyalität. Und Earans Versuch, einem anderen im Zorn die Pfade zu verbrennen, hat seine Selbstbeherrschung in ein fragwürdiges Licht gerückt.«
Alissa spürte, wie ihr eine Träne über die Wange lief, und ließ die Schultern hängen. Sie hatte nicht gewollt, dass das geschah.
»Falls dir das hilft«, fügte er verlegen hinzu, »möchte ich dir sagen, dass Besties Worte mit dieser Entscheidung nichts zu tun hatten.«
»Bitte geh weg«, sagte sie. Er sollte sie nicht zum zweiten Mal an einem einzigen Tag weinen sehen. Sie barg den Kopf in den Händen, und er ließ sie allein. Sie wusste nicht, was ihr mehr zu schaffen machte: dass Lodesh der neue Stadtvogt werden würde oder dass Besties beschämende Worte gehört und verworfen worden waren.
– 29 –
S trell saß an der Feuerstelle und zitterte innerlich. Warmer Regen rann ihm unter den Kragen, während er sich mit aller Kraft an die steinerne Bank klammerte und in die feuchte Nacht starrte. Dampf stieg von der warmen Erde auf und steigerte noch sein Gefühl, all das sei unwirklich. »Danke«, flüsterte er Kralle heiser zu, und der kleine Falke antwortete von seinem geschützten Plätzchen unter einem Busch mit einem leisen Keckern. Strells Herzschlag verlangsamte sich, und er zwang sich, den Griff zu lockern. Er stützte die Ellbogen auf die Knie und vergrub den Kopf in den
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