Alissa 3 - Die verlorene Wahrheit
rückte in den Vordergrund, und Alissa bekam den Eindruck, dass sie sich räusperte. »Im A ugenblick haben wir drei Abwesende, fünfzehn für Lodesh und vierundvierzig für Earan. Und deine Stimme?«
»Earan«, antwortete Keribdis. »Ich nehme an, jeder weiß, wer sich warum mit wem verbündet hat?«
Schweigen.
»Nun denn«, sagte sie, »wer möchte anfangen?«
Wieder dieses Schweigen. Kein Flüstern war zu vernehmen.
»Nun kommt«, schmeichelte Keribdis. »Irgendjemand muss doch etwas haben, das ein anderer will.«
»In drei Jahren bin ich an der Reihe, meine Pflichtzeit auf der Feste zu verbringen«, erklang ein männlicher Gedanke. »Ich bin bereit, früher zurückzukehren und jemand anderen abzulösen, wenn derjenige seine Wahl auf Earan umändert.«
»Ich nehme an«, rief jemand. »Ich habe noch vier Jahre auf der Feste vor mir, mit zwei Schülern, die nicht die Selbstbeherrschung besitzen, es je zum Bewahrer zu bringen. Ich bin sicher, man könnte sie dazu ermuntern, die Feste bald zu verlassen.«
»Schön«, stimmte der erste Raku zu, »aber ich will keine neuen Schüler mehr, mindestens fünf Jahre lang.«
»Du willst ein Turmzimmer, aber keinerlei Verpflichtungen?«, rief eine dritte Stimme. »Ausgeschlossen.«
»Ich übernehme die Pflichten eines jeden, der darauf eingeht, für die nächsten achtzig Jahre«, brüllte eine neue Stimme, »aber ich will dafür eine Stimme für L odesh!«
»Achtzig Jahre! Bis dahin sind alle Kandidaten tot.«
Verwirrt flüsterte Alissa Redal-Stan zu: »Was ist los?«
»Das ist Stimmenkauf, fair und ehrlich, Eichhörnchen, Stimmenkauf.«
»Ihr meint«, sagte Alissa leise, obwohl ihre Empörung sich kaum mehr zügeln ließ, »dass die Entscheidung über den nächsten Stadtvogt nicht auf der Eignung der Kandidaten beruht, sondern darauf, wer den Sommer freihaben will und wer bereit ist, wessen Aufgaben zu übernehmen!«
»Ich fürchte ja.«
»Aber das ist falsch!«, explodierte Bestie und erschreckte Alissa so, dass sie kein Wort mehr herausbekam. »Die Stadt will jemanden, dem die Leute vertrauen, auf den sie sich verlassen können, jemanden, den sie mö gen! Keinen eigensüchtigen, machtgierigen Tyrannen, der Schwächere drangsaliert, aber willig alles tun wird, was ihr verlangt, ob nun aus Angst oder aus Loyalität zur Feste.«
»Ruhe«, zischte Redal-Stan ihr zu. Doch das war Bestie gewesen. Sie hatte Alissa ausgeschlossen, die verzweifelt darum kämpfte, die Kontrolle zurückzugewinnen.
»Ich lasse mir den Mund nicht verbieten!«, schrie Bestie, und das Gemurmel der Feilschenden erstarb. »Lodesh hat jene, unter denen er lebt, genau studiert. Er weiß, was den Bäcker dazu bewegen wird, sich mit der Idee des Schmieds einverstanden zu erklären, so dass hinterher beide zufrieden sind. Er wirkt nur einfältig, weil man auf diese Weise viel leichter etwas erreicht!«
»Ich sagte, halt den Mund, Eichhörnchen!«
»Ihr seid die Meister, die Herren über was?«, tobte Bestie. »Alle und jeden? Versucht euch doch erst einmal selbst zu meistern. Seht euch nur an – ihr schachert mit hilflosen Menschen, um euch um eure Verantwortung zu drücken. Lasst ihnen mehr Freiheit«, warnte sie. »Ihr erwürgt eure Kinder, diejenigen, die euch befreit haben.«
»Wer«, drang Talo-Toecans erstaunter Gedanke zu ihr, »ist das?«
Redal-Stan formte ein Feld um sich und Alissa. Die verblüffte Stille wurde von Redal-Stans Zorn verdrängt. »Raus hier«, bellte er und verjagte sie mit einem geistigen Tritt aus seinen Gedanken.
Alissa riss die Augen auf, und ihr Blick fiel auf Redal-Stan, der sie zornig anfunkelte. Connen-Neutes Augen waren vor Entsetzen weit aufgerissen. Sie starrte Redal-Stan an, völlig verängstigt, weil Bestie so leicht die Kontrolle übernommen hatte. Alissa hatte sie nicht zurückhalten können. Bestie hatte es darauf ankommen lassen und gewonnen. In Panik öffnete Alissa den Mund, um das zu erklären und um Hilfe zu bitten, doch Bestie riss erneut die Herrschaft an sich. Alissa spürte, wie ihre Gesichtszüge hart wurden. »Schön«, sagte Bestie laut durch Alissas Mund, und Alissa war gezwungen aufzustehen.
Redal-Stan zeigte mit zitterndem Finger auf die Tür, und sie ging hinaus. »Ich wollte ohnehin nicht länger bleiben, Alter«, fauchte Bestie und schlug die Tür hinter sich zu.
Bestie ließ Alissa die Treppe hinabstürmen, was ihr verwunderte Blicke und hochgezogene Augenbrauen einbrachte. Bestie achtete nicht darauf, wo sie hingingen, deshalb
Weitere Kostenlose Bücher