Alissa 3 - Die verlorene Wahrheit
hektisch zum Schweigen, ehe Redal-Stan sie am Ende noch bemerkte.
»Danke, Keribdis«, sagte Redal-Stan laut, und Alissas Angst vervielfältigte sich. Diese starke, entschlossene Gedankenstimme war Keribdis? Sie würde Bestie binnen eines Augenblicks entdecken. Sie war dazu ausgebildet!
»Sobald wir wissen, welche Lösung du bevorzugst«, sagte Keribdis, »können wir mit den Verhandlungen beginnen.«
» Wie wäre es mit Lodesh?«, sprach Bestie klar und deutlich in die geistige Stille.
Alissa wand sich, als ein Chaos ausbrach. »Lodesh? Lodesh Stryska?«, riefen alle durcheinander. »Du machst wohl Witze!«
»Sei still«, zischte Redal-Stan, der meinte, das sei Alissa gewesen, und Alissa spürte Ärger in Bestie aufwallen, überraschend und Besorgnis erregend.
»Ru-u-uhe!«, donnerte Keribdis, und Stille senkte sich herab. »Redal-Stan«, fragte sie gedehnt, »soll das heißen, dass du den Bewahrer Lodesh Stryska als Stadtvogt in Betracht ziehst?«
Eine lange Pause entstand. »Offenbar, ja«, brummte er, und bei dem daraufhin anschwellenden allgemeinen Protest krümmte Alissa sich zusammen.
»Also schön.« Keribdis klang verschnupft. »Die Wahl steht folgendermaßen: eine Abwesenheit, zwei für Marga …«
»Diesen Bluff kannst du ebenso gut gleich verwerfen«, unterbrach eine anonyme Stimme. »Marga wird nicht mehr die Kraft und Geistesgegenwart besitzen, eine Stadt zu regieren, wenn ihre Kinder zu Shaduf werden.«
Ein zorniger Gedanke fuhr dazwischen: »Das ist ohnehin falsch. Sati ist die einzige Shaduf, die wir brauchen. Die Verbindung zwischen der Stryska-Linie und der Küste hätte verschoben werden müssen.«
Verschoben?, dachte Alissa. Margas Kinder, Shaduf? Was ist denn hier los?
»… acht dafür, das Amt des Stadtvogts an sich abzuschaffen«, fuhr Keribdis fort.
»Das ist mal eine gute Idee«, kam ein sarkastischer Gedanke.
» … vier dafür, eine neue Familienlinie auszuwählen …«
»Sogar noch besser!«, rief jemand dazwischen.
»… sechs für den jungen Trook, einundvierzig für E aran und eine – für Lodesh.« Keribdis schien tief Luft zu holen. »Ändert jemand freiwillig seine Wahl? Nein? Dann …«
»Warte.« Connen-Neutes vertrauter Gedanke drang klar zu ihr durch. Er klang bescheiden, aber fest entschlossen. »Ich ändere meine Wahl von Marga zu L odesh.«
Die versammelten Rakus flüsterten unruhig, und Alissa spürte, wie sie langsam nervös wurde. Earan sollte den Titel bekommen. Lodeshs Leben würde sich dadurch nur zum Besseren verändern. Sie war ein Feigling gewesen, weil sie sich bisher nicht zu Wort gemeldet hatte. Was war schon ihr Leben, verglichen mit dem unermesslichen Leid von Ese’ Nawoer?
»Ich ändere meine Wahl auch auf Lodesh«, sprach eine weitere Stimme.
»Ich auch.«
Hitziger Protest und scharfe Anschuldigungen verursachten gewaltigen Lärm, und Alissa wünschte, sie könnte sich die Ohren zuhalten.
»Schön!«, schrie Keribdis. »Wyden? Würdest du bitte noch einmal abzählen?«
Ein sanftes Seufzen war zu hören. »Ja, Keribdis«, und der Lärm wurde zu einem gedämpften Gemurmel.
»Siehst du, was du angerichtet hast?«, zischte Alissa Bestie zu, und Bestie schnaubte verärgert.
»Darf ich dich um ein kurzes Wort bitten, Redal-Stan?«, drang Keribdis’ Gedanke leise in Alissas Geist.
»Selbstverständlich. Aber erwarte nicht, dass wir uns vertraulich unterhalten können«, entgegnete er, und Alissa verzog das Gesicht, weil ihr nichts anderes übrigblieb, als zu lauschen.
» Was bei den Hunden tust du da?«, fragte Keribdis. »Ich hatte das Thema eigentlich schon seit gestern unter Dach und Fach. Lodesh hat nur Mädchen und Flausen im Kopf. Versuchst du nur, mir das Leben schwerzumachen, oder ist das irgendein politisches Spielchen?«
»Weder noch.« Redal-Stan seufzte. »Lodesh ist nicht so nichtsnutzig, wie man dich glauben machen will. Er ist in der Stadt sehr beliebt.«
Keribdis schwieg einen Moment. »Beliebt? Eine Schachfigur also, die andere lenken?«
»Bei den Wölfen, nein«, rief er. »Dazu ist er viel zu klug. Um ehrlich zu sein«, erklärte er widerstrebend, »kommt er sehr gut mit allen aus, mit den Gemeinen wie mit den Bewahrern.«
Alissa sank der Mut.
»Tatsächlich«, sagte Keribdis nachdenklich. »Es ist dir also ernst damit?«
»Anscheinend schon.« Das klang sehr trocken.
»Na schön. Dann müssen wir wohl den schwierigen Weg nehmen.« Alissa spürte, wie Keribdis sich sammelte. »Wyden?«
Wydens Präsenz
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