Alissa 3 - Die verlorene Wahrheit
Händen. Alissas Gegenwart erfüllte die Feuerstelle, und er badete darin.
»Das war keine gute Idee«, flüsterte er. Mit zusammengekniffenen Augen starrte er in die Dunkelheit, als eine Böe aus Wind und Regen niederging, begleitet von Talo-Toecan. Der alte Raku sagte nichts und behielt lieber die Gestalt bei, in der ihm der Regen nichts ausmachte. »Das werde ich nie wieder tun«, erklärte Strell trotzig.
Der Raku grummelte fragend.
Strell wischte sich den Regen aus den Augen. »Ich habe absichtlich aufgehört, Alissa zu folgen, wie Ihr vorgeschlagen hattet. Euer Gedanke, dass sie mein Fehlen ebenso spüren würde wie ich ihre Abwesenheit, war gut, Talo-Toecan«, sagte er. »Aber sie hat nicht darauf geachtet. Irgendetwas hat sie abgelenkt. Und dann«, hauchte Strell und erinnerte sich lebhaft an seine Furcht und Verzweiflung, »dann habe ich sie ganz verloren.«
Mit einem wild aussehenden, klauenbewehrten Finger bat der Meister um eine ausführlichere Erklärung.
Strell hatte Mühe, die Worte dafür zu finden. »Ich bin ihren Gedanken bis zum Hain von Ese’ Nawoer gefolgt …«
Talo-Toecan brachte sein Staunen mit einem dumpfen Grollen zum Ausdruck.
»Ich weiß genau, dass sie dorthin gegangen ist«, erklärte Strell. »Inzwischen kann ich sie sogar auf diese Entfernung erspüren, und das ist es ja gerade«, sagte er flehentlich. »Ich habe ihren Flug hierher verfolgt und gefühlt, wie sie sich im Turm niedergelassen hat, in einem der oberen Räume, und dann, nichts mehr.« Er blickte auf, und sein Herzschlag beschleunigte sich bei der Erinnerung an die Angst, die er in jenem Augenblick empfunden hatte. »Sie war weg. Ich bin hinaufgerannt, weil ich dachte, wenn ich uns näher zusammenbringe, könnte sie wieder auftauchen, aber sogar die Erinnerung an sie war weg.«
Talo-Toecan hob erschrocken den Kopf, und Strell machte eine beruhigende Geste. »Kralle hat mich zu ihr geführt. Sobald ich die Feuerstelle erreichte, hatte ich sie wieder.«
Der Raku kniff die Augen zusammen. Er verwandelte sich in einen grauen Wirbel, der von der regnerischen Nacht kaum zu unterscheiden war, und erschien wieder mit einem hässlichen, breitkrempigen Hut auf dem Kopf. »Einen Augenblick«, sagte er und stieg hinab in die Grube. »Ganz abgesehen von Kralles Einmischung – ich soll dir glauben, dass die fehlende Nähe zu Alissa deine Illusion ihrer Präsenz zerstört hat?«
Strell runzelte die Stirn, denn es war ihm gleich, ob der Meister ihm glaubte oder nicht.
»Vielleicht«, schlug Talo-Toecan vor, »hast du nur deine Empfänglichkeit für sie verloren.«
Strell schüttelte den Kopf und spürte, wie nass das Haar daran klebte. »Sie war verschwunden, und dann war sie wieder da.«
Mit nachdenklicher Miene rückte Talo-Toecan seinen Hut zurecht und beugte sich halb vor, um sich hinzusetzen.
»Nicht da!«, schrie Strell, und der Meister erstarrte auf halber Höhe. Mit einem leisen Schnauben rückte er drei Schritte weiter nach links und setzte sich. Strell rieb sich die Stirn und zwickte sich in die Schläfen, um die leichten Kopfschmerzen zu vertreiben. Seine Finger waren glitschig vom Regen.
»Strell?«, fragte Talo-Toecan gedehnt und argwöhnisch. »Was tust du?«
»Nichts«, antwortete er seufzend. »Nichts. Anscheinend kann ich gar nichts tun.«
»Nein«, sagte der Meister. »Ich sehe eine Resonanz auf meinen Pfaden. Jedenfalls auf Teilen des Netzes. Lodesh schmollt in der Küche, ist also zu weit weg, als dass die Resonanz von ihm kommen könnte.«
Strell blickte auf, und sein eigenes Staunen spiegelte sich in der weichen Dunkelheit auf Talo-Toecans Gesicht. »Darf ich mir deine Pfade ansehen?«, fragte der Meister leise.
Strell blinzelte. »Meine …« Ihm stockte der Atem, als er begriff, was das bedeutete. »Ja.«
Talo-Toecans Blick rückte in die Ferne. Strell hielt ganz still; sein Herz hämmerte in dem Wissen, dass Talo-Toecan gerade in seinen Geist blickte und seine verworrenen, nutzlosen Pfade betrachtete, aber seine Gedanken nicht lesen konnte, wenn es stimmte, was Alissa sagte. Dennoch achtete er darauf, möglichst nichts zu fühlen und zu denken. Talo-Toecan neigte den Kopf zur Seite und schloss mit hörbarem Schnappen den Mund. »Bei den Wölfen«, sagte der Meister und starrte Strell mit bleichem Gesicht an.
Hoffnung flammte in ihm auf. »Ein Muster?«, fragte Strell. »Habt Ihr ein Muster gesehen? Was tue ich denn? Bin ich ein Bewahrer?«
Talo-Toecan schüttelte entschieden den Kopf.
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