Alissa 3 - Die verlorene Wahrheit
sein.«
Sie starrte ihn mit großen Augen an. »Ich kann Strell nicht vergessen«, flüsterte sie.
Er senkte den Blick. »Es ist kein Verrat, einen anderen zu lieben, wenn die erste Liebe für immer unerreichbar geworden ist.«
»Ist er das?«
Diesmal ließ Lodesh ihre Hände fallen. Er blickte über die Wiese zu den Euthymienbäumen hinüber, die schwarz in der Abenddämmerung aufragten. »Ich weiß nur, dass du jetzt hier bist. Und so wunderbar vollkommen habe ich mich nicht mehr gefühlt, seit Reeve mich wie seinen eigenen Sohn bei sich aufgenommen hat.« Er wandte sich ihr wieder zu, und sein Blick war flehentlich. »Warum deine Zukunft, deine Existenz aufs Spiel setzen wegen einer hauchdünnen Möglichkeit? Bleib bei mir.«
Sie zitterte.
»Sei meine Liebste.«
Lodeshs Blick war hungrig. Er umfasste fest eine ihrer Hände und griff mit der anderen in die Tasche. Der Duft von Äpfeln und Kiefern stieg in die feuchte Abendluft auf. Es war eine Euthymienblüte. »Die hast du neulich verloren«, flüsterte er und legte sie ihr in die Hand. »Ich schenke sie dir ein zweites Mal, obwohl ich mir geschworen hatte, das niemals zu tun.« Er lachte auf. »Das wären dann zwei Versprechen, die ich gebrochen habe.«
Gemeinsam blickten sie darauf hinab, und auf seine starken Hände, die nun beide ihre Hand umschlossen. »Sie ist so frisch, als wäre sie eben erst vom Baum gefallen«, sagte sie erstaunt.
Ein gefühlvoller Ausdruck huschte über Lodeshs Gesicht, der beinahe schmerzlich wirkte. »Wenn eine Euthymienblüte in Liebe verschenkt wird, kann die Zeit ihr nichts anhaben, bis das Geschenk erwidert oder abgewiesen wird.«
Panik flammte in Alissa auf, und sie wollte zurückweichen, doch ihre Füße rührten sich nicht vom Fleck. »Das ist Magie«, flüsterte sie mit bebender Stimme. »Ich glaube nicht an Magie.«
»Ich schon.« Lodesh zog sie zu sich heran, bis seine Wärme ihren Körper kribbeln ließ. »Denn sonst könnte ich nicht an dich glauben.« Ihr Herz schlug schneller, und sein Blick fing sie ein. »Ich habe dir diese Blüte nun zum zweiten Mal geschenkt, Alissa. Diesmal brauche ich eine Antwort.«
Sie schwieg und konnte keinen klaren Gedanken fassen.
»Alissa?«
Sie blickte an ihm vorbei über die weite Wiese, die grau im Zwielicht lag. Aus der Ferne war Kindergeschrei zu hören. Es wurde vom Wiehern der Pferde erwidert. Eine Gruppe Stuten mit ihren Jungen, schon fast ausgewachsen, raste vorbei, eine beunruhigende Mischung aus zornigen Hufen und sanft schaukelndem Gras. Graus ließ sich von ihnen mitreißen und rannte davon, verfolgt vom Hengst der Herde. Alissas Gedanken wandten sich sacht der Stadt zu und spürten das Leben, die Zufriedenheit, die sie barg. Sie wusste, wenn sie jetzt Ja sagte, würde sie einen neuen Leitstern gefunden haben und nicht verwildern.
Zu Hause?, dachte sie.
»Alissa.« Lodesh schloss sie in die Arme, doch ihre Augen waren fest auf die Wiese gerichtet. Sie konnte Euthymienholz an ihm riechen, klar und stark, das ihre Sinne erfüllte und benebelte und keinen Raum für Gedanken oder Vernunft ließ. »Bleib bei mir«, hauchte er an ihrer Wange. »Sei meine Liebste.«
Sie wich ein wenig zurück, um ihn zu betrachten. Ihr Verstand war leer. Die Herde hatte sich zerstreut und den letzten Rest ihrer Vernunft mit sich genommen. »Äh …«, stammelte sie, in seinem Blick verloren, und ihm stockte der Atem. Hoffnungsvoll sah er sie an und strich mit einem Finger sacht unter ihrem Auge entlang. » Äh …«
Ein Luftstoß fegte über sie hinweg und wehte ihr das Haar in die Augen. Lodesh blickte auf. »Zu Asche soll er verbrannt sein«, flüsterte er, ließ sie los und trat einen Schritt zurück. Es war Redal-Stan.
Der alte Raku verwandelte sich augenblicklich und schritt auf sie zu. »Die Wölfe sollen euch holen!«, schrie er. »Wo ist Connen-Neute?«
»Äh …«, stammelte Alissa und hielt sich mit einer Hand den Kopf. Sie konnte Flötentöne hören, die über die dunkle Wiese trieben. Redal-Stan baute sich schäumend vor ihnen auf. Lodesh sank in sich zusammen, wütend und frustriert, weil sein Lehrmeister wieder einmal seine Pläne durchkreuzt hatte.
Ein zorniger Finger zeigte auf Alissa. »Ich habe diesem Flügelchen den Auftrag erteilt, auf dich aufzupassen«, schrie Redal-Stan. »Dann komme ich, um euch Neuigkeiten zu bringen, und stelle fest, dass er verschwunden und stattdessen Lodesh bei dir ist!«
Sie schüttelte ihre Betäubung ab. »Er ist bei Breve«, sagte
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