Alissa 3 - Die verlorene Wahrheit
funktioniert.«
»Sie weint, Stadtvogt«, sagte Strell zu dem Lodesh, der bei ihm war. »Kannst du sie hören? Warum tust du ihr das an? Sie will nach Hause! Sag mir, wie!«
Alissa schnappte nach Luft, als Lodeshs Bewusstsein in ihres drang. »Das ist nicht gerecht!«, fuhr sein Gedanke durch sie hindurch und erschreckte sie mit der Tiefe seines Elends. Sie blickte durch einen Tränenschleier nach unten. Der Lodesh zu ihren Füßen war verwirrt, nicht von Trauer zerrissen. Das war also der Lodesh von zu Hause gewesen.
»Das ist nicht gerecht«, rief er erneut. »Ich sollte das nicht ein zweites Mal durchleiden müssen. War das erste Mal denn nicht schon Strafe genug?«
»Dann sag es mir!«, brüllte Strell.
Leise und niedergeschlagen trieben Lodeshs Gedanken in ihre. »Sie müsste deinen Gedanken nach Hause folgen«, flüsterte er.
Alissa spürte Lodesh erschauern, in beiden Zeiten. Der Lodesh zu ihren Füßen setzte sich unfreiwillig auf den Boden und hielt sich den Kopf, während seine gegenwärtigen und zukünftigen Gedanken sich auf unbegreifliche Weise vermischten.
» Verstehst du, Strell?«, kam Lodeshs Gedanke, und der Lodesh zu ihren Füßen bewegte im Gleichklang mit den Worten die Lippen. »Sie muss deinen Gedanken folgen statt einer Erinnerung. Oh, bei den Wölfen«, stöhnte er. »Warum habe ich das getan? Tu das nicht noch einmal«, sagte er. »Hörst du mich, Stadtvogt? Tu ihr das nicht noch einmal an!«
»Strell, ich verstehe das nicht!«, rief Alissa aus.
Alissa hörte Lodesh in geistigen Qualen stöhnen. »Sie soll sich wieder verwandeln«, sagte er. »Sag ihr, sie soll ihr neuronales Netzwerk für einen Liniensprung aufbauen, aber statt einer Erinnerung deine Gedanken als Ziel nehmen.« Er zögerte. »Und sag ihr, dass es mir leidtut«, flüsterte er, »und dass ich das nicht wollte.«
»Das ist alles?« Sie richtete sich aufgeregt auf.
»Tu es, Alissa«, sagte Strell inbrünstig. »Jetzt!«
Und Strell gab ihr eine Erinnerung an eine Zeit, die sie nicht erlebt hatte. Gedanken an einen kalten, schwarzen Abend, mit dunklen Wolken, die von einem zornigen Ostwind über den ausgewaschenen Himmel geschoben wurden, an eine leere Stadt, bar jeden Lebens. Sie hob den Blick und sah sie über die goldene Wiese hinweg.
Connen-Neute war dort, und Lodesh. Sie waren in beiden Augenblicken gegenwärtig. Und Strells Musik schwoll sacht an und ab, zog sie zurück, erfüllte ihre Sinne, brachte sie nach Hause.
Sie verwandelte sich. »Vergiss deine Kleider nicht«, mahnte Bestie, und Alissa glaubte ein Kichern von Connen-Neute zu hören, als sie wieder in die Wirklichkeit zurückwirbelte und bedauerte, keine Zeit für ein letztes Lebewohl gehabt zu haben.
Alissa schlang in der neuen Dunkelheit die Arme um sich, schlug die Augen auf und fragte sich, ob es wahrhaftig funktioniert hatte. Der schwarze Schatten Connen-Neutes hockte geduckt ganz in der Nähe, eine wilde Bestie, von Strells Musik eingelullt. Lodesh stand neben ihm. Seine Kleidung war zerrissen, sein Gesicht übel zugerichtet. Er stand stocksteif da, voller Pein, aber in stoischer Ergebenheit. Links von ihr, mit geschlossenen Augen, die Flöte an den Lippen, stand …
»Strell!«, schrie sie und stürzte sich auf ihn. Er riss die Augen auf. Sie trafen sich in einer wilden Umarmung. Sie wurde hochgerissen, herumgewirbelt und so hart wieder abgestellt, dass ihr die Zähne wackelten. Es war ihr egal. Sie vergrub den Kopf an seiner Schulter, schlang die Arme um seinen Hals und sog jubelnd den Duft von heißem Sand ein, der von ihm ausging.
»Ich habe … alles versucht, um zurückzukommen«, hörte sie sich in seinen Kittel stammeln. Er war feucht. Einer von ihnen weinte offenbar. »Redal-Stan hat gesagt, es wäre unmöglich, aber ich wusste, dass ich es schaffen kann«, plapperte sie. »Und dann habe ich deine Musik gehört und …«
»Ach, halt endlich den Mund«, sagte Strell, und ehe sie wusste, wie ihr geschah, küsste er sie.
Zärtlicher, als sie erwartet hätte, trafen seine Lippen auf ihre, dann kraftvoller, bis sie eine Wärme tief in ihr wachriefen. Mit hämmerndem Herzen ließ sie sich gegen ihn sinken und wünschte, der Kuss würde nie enden. Strell erstarrte, als er ihre bereitwillige Reaktion spürte, beinahe so, als merke er erst jetzt, was er da tat. Sie öffnete die Augen und begegnete seinem erschrockenen Blick. Errötend wich Strell zurück, ließ sie jedoch nicht los.
Alissa blinzelte, als die Wärme seiner Berührung weiter
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