Alissa 3 - Die verlorene Wahrheit
Redal-Stans Wasser nehmen«, stammelte sie, als eine tiefe Schüssel vor sie hingestellt wurde. Wasser plätscherte hinein, und ein weiches Tuch erschien daneben. Kally machte sich wieder an die Arbeit, achtete aber darauf, in Hörweite zu bleiben.
»Unsinn!«, bellte die alte Frau, die offenbar nur in dieser Lautstärke sprechen konnte. »Das wird ihn daran erinnern, wie es ist, auch mal Unannehmlichkeiten ertragen zu müssen. Er kann ruhig auf sein Frühstück warten. Er hat’s nicht besser verdient, sage ich. Euch in seinem muffigen alten Sessel schlafen zu lassen!«
»Das macht mir nichts aus«, sagte Alissa, die sich gerade das Gesicht wusch und über den vorwurfsvollen Tonfall der Frau schockiert war.
»Im zugigen Speisesaal obendrein«, fuhr sie fort und wedelte in der warmen Luft herum.
»Das Feuer war sehr warm«, erwiderte Alissa zögerlich.
»Er sollte sich lieber mal daran erinnern, wer ihm seine Butter aufs Brot schmiert«, beendete die Frau ihre Rede, als hätte Alissa gar nichts gesagt, doch ihre klaren grünen Augen waren bohrend auf Alissa gerichtet, als wolle die Frau sie herausfordern, ihr noch einmal zu widersprechen. Klirrend zersprang Geschirr, und die Frau ging gemeinsam mit dem Lärm in die Luft. »Oh, bei den Hunden des Navigators!«, schrie sie. »Muss ich denn hier alles selber machen?« Dann schüttelte sie den Kopf. »Mein Name ist Mavoureen, aber nur Redal-Stan nennt mich so, der alberne Kerl. Alle anderen sagen Mav. Und, Liebes?« Wissend begegnete sie Alissas Blick. »Wenn du dich gewaschen hast, sieh zu, dass du wieder dort hinüberkommst. Earan ist ein kleiner Tyrann; so war er schon als Dreikäsehoch.«
Eine zornig erhobene Stimme drang durch das Geklapper in der Küche. »Ich gebe mein Zimmer nicht für eine Schwachsinnige auf, die behauptet, Bewahrerin zu sein. Sie kann bei den Schülern schlafen.«
Alissa schnürte es die Brust zu. Sie konnte nicht dort hineingehen. Nicht jetzt gleich.
Mav schürzte die Lippen und warf einen Blick in Richtung Durchgang. »Hm, ja«, sagte sie und schnappte sich einen Teller von dem Stapel, der schon für den Raum bereitstand, in dem sich die hitzige Diskussion abspielte. »Hast du schon Talo-Toecans Garten gesehen?«, fragte sie. »Er hält seine Schüler dort drin ganz schön auf Trab. Wie ich höre, soll der Anblick selbst den kritischsten Gärtner erfreuen. Ich habe ihn seit Jahren nicht mehr gesehen.« Ihre Stimme wurde weicher. »Nicht, seit ein gewisser junger Mann um mich geworben hat.« Sie lächelte ein halbes, sehnsüchtiges Lächeln. »Ich bin sicher, seither hat sich viel verändert. Aber du wirst einen kleinen Morgenspaziergang zweifellos erbaulich finden. Ja. Das wirst du.«
Ihre Hand schwebte über einer Schüssel, die von süßen Brötchen überquoll. Als sie Alissas freudiges Lächeln bemerkte, legte Mav eines auf den Teller. Eine kleine Teekanne kam dazu, und dann führte sie Alissa durch das Gewirr in der Küche zur Hintertür. Ein Schwall frischer Morgenluft begrüßte Alissa, als die Frau die Tür öffnete und ihr erst den Teller und dann die Kanne reichte.
»Genieße den Morgen«, sagte Mav, als Alissa rückwärts von der einzigen Stufe trat. »Aber, Liebes? Du wirst Earan bald gegenübertreten müssen. Ein Mann wie er wird dir nicht verzeihen, dass du ihn verängstigt gesehen hast.«
Alissa fühlte Besorgnis in sich aufflackern und wusste nicht recht, was sie davon halten sollte.
»Bring nur alles wieder zurück, wenn du fertig bist«, mahnte die Frau. Und schloss die Tür.
»Puh!«, rief Alissa aus. Sie starrte auf die blaue Tür, erschüttert von dem Aufruhr, der sich in ihrer sonst so stillen Küche abspielte. Mit einem tiefen Seufzen ließ sie ihre Anspannung los und ging den gepflegten Pfad entlang. Ihr Blick hob sich wie von selbst zum blauen Himmel, um nach Kralle zu sehen, und sie seufzte erneut.
Es war himmlisch ruhig. Der Rhythmus ihres Herzens passte sich dem gemächlicheren ihrer Schritte an, und ihre Kopfschmerzen verflogen. Im hellen Tageslicht war spektakulär offensichtlich, dass dies nicht der lange vernachlässigte Garten war, in dem sie sich gerade erst an die Arbeit gemacht hatte. Dieser Garten hier glänzte vor guter Pflege. Sie ging langsamer, als ein Häuflein jugendlicher Überschwang lachend und schubsend um die Ecke kam. Die jungen Leute bemerkten sie und bemühten sich um einen Hauch von Anstand, doch sobald sie an ihr vorbei waren, begannen sie zu flüstern.
»Das ist sie. Ren hat
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