Alissa 3 - Die verlorene Wahrheit
Tür hinter sich und ließ sie allein und verzweifelt stehen, so wie sie ihn vor fünf Jahren unter den Euthymienbäumen hatte stehen lassen. Er hatte dort gestanden, mit einer Blüte in den Fingern, und die Bitte um ihre Hand hatte zerschmettert zwischen ihnen gelegen.
– 7 –
A lissa, wach auf.« Es war ein liebevolles Flüstern, also verbarg sie ihr Lächeln und stellte sich schlafend. Wenn sie Glück hatte und Kralle gerade nicht da war, würde Lodesh seine nächsten Worte mit einem Kuss auf ihre Fingerspitzen einleiten.
»Alissa?« Sein Atem streichelte ihre Wange. Sie nuschelte, schlug mit einem Arm um sich und traf etwas. Ein unterdrücktes Grunzen war zu hören, und sie biss sich auf die Zunge, um nicht laut zu lachen.
»Bitte, Alissa. Die Bewahrer kommen gleich zum Frühstück.«
Bewahrer!, dachte sie. Sie riss die Augen auf, als sie den Gestank von Würstchen erkannte, und keuchte, als ihr alles wieder einfiel. Sie lächelte dünn zu Lodesh auf und versuchte, sich ihre Bestürzung darüber nicht anmerken zu lassen, dass der vergangene Abend kein grässlicher Albtraum gewesen war.
Ein grober Laut des Abscheus zog ihren Blick zur Tür. Earan stand im Durchgang zur großen Halle. Sein verächtlicher Blick blieb an ihrem Kiefer hängen, und sie schüttelte das lange Haar nach vorn, um den abheilenden Kratzer zu verbergen. Verlegen stopfte sie die Füße in die Pantoffeln, die Lodesh ihr reichte.
»Lodesh sagte, man habe dir die Privilegien einer Bewahrerin zugestanden«, sagte der bärtige Mann, »aber ich will zu Asche verbrannt sein, ehe ich einen Tisch mit dir teile. Du wirst bei den Schülern essen.«
»Earan!« Lodesh trat zwischen sie. »Du besitzt keinerlei Autorität, sie in die Grube zu verbannen.« Mehrere neue Gesichter erschienen in der Tür. Alle Neuankömmlinge trugen Bewahrer-Kleidung, und alle ignorierten die hässliche Szene mit müder Zurückhaltung.
»Bis die Formalitäten erfüllt sind, isst sie mit den Schülern«, bekräftigte Earan mit höhnischem Grinsen.
»Der mentale Lärm, den sie da drüben veranstalten, wird sie wahnsinnig machen.« Lodesh baute sich vor Earan auf.
»Sie ist bereits wahnsinnig!«
Alissa wich bis fast in die Küche zurück. Ihr Kopf schmerzte. Sie nuschelte eine Entschuldigung, die niemand hörte, und floh an ihren Zufluchtsort, blieb jedoch nach wenigen Schritten schockiert stehen. »Entschuldigung«, sagte jemand ungeduldig, und Alissa trat beiseite, um den jungen Mann vorbeizulassen. Seine Abwesenheit fiel in der Küche kaum auf. Nur fünf Menschen befanden sich darin, doch sie hasteten so geschäftig herum, dass es den Eindruck erweckte, sie seien doppelt so viele. Über allem hing der Übelkeit erregende Gestank von gebratenen Würstchen.
»Steh nicht nur da und halte Maulaffen feil, Liebes. Tu etwas!«, erklang ein ungeduldiger Ruf.
Alissa wirbelte zu einer Frau mit großzügigen Proportionen herum, die aussah, als könnte sie die Großmutter all dieser Leute sein. Als sie Alissas erschrockene Haltung bemerkte, lachte sie. »Oh! Ich bitte um Verzeihung. Ich hatte Euch für eines meiner Mädchen gehalten.« Die alte Frau ließ sich auf einen Stuhl plumpsen und sah Alissa mit schmalen, von Falten umringten Augen an. »Ihr müsst diese Alissa sein, von der Lodesh heute Morgen ununterbrochen geredet hat. Ja«, murmelte sie. »Ihr dürftet passen.«
»Wie bitte?« Alissa starrte die Frau verständnislos an.
»Das ist ein feiner Bursche, ja, das ist er.« Sie tätschelte Alissas Hand. »Braucht nur das richtige Mädchen, damit sein schweifender Blick recht bald zur Ruhe kommt.«
»Ich weiß wirklich nicht …«, stammelte Alissa und spürte, wie ihre Wangen heiß wurden.
»Natürlich nicht. Wenn Ihr wüsstet, wäre es ja nur halb so lustig!«
Ein Mädchen, das ganz in der Nähe Äpfel klein schnitt, bebte vor Lachen. Als die junge Frau sah, dass Alissa sie anstarrte, verdrehte sie dramatisch die Augen gen Himmel. »Äh«, sagte Alissa, entschlossen, das Thema zu wechseln. »Hättet Ihr etwas dagegen, wenn ich mir ein wenig Wasser hole? Ich habe noch kein Zimmer, und …«
»Ah«, unterbrach die Frau sie. »Ihr möchtet Euch waschen.« Stöhnend stand sie auf. »Kally!«, schrie sie, obwohl es in der Küche gar nicht so laut war, und das Mädchen mit den Äpfeln legte das Messer beiseite. »Gieß Redal-Stans Teewasser in eine Schüssel, für Alissa. Nein, nicht da. Hier drüben!«
Alissas Augen weiteten sich. »Ich kann doch nicht
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