Alissa 3 - Die verlorene Wahrheit
und da war sie. »Mavoureen!«, rief Alissa erleichtert. »Dem Navigator und all seinen Hunden sei Dank. Wacht auf. Es ist Zeit zurückzukehren. «
Gemeinsam beobachteten Connen-Neute und Alissa, wie das silbrige Blau ihres Bewusstseins sich regte und klarere Umrisse annahm. »Wer?«, fragte sie.
Connen-Neute zuckte zusammen, als der Gedanke der Frau leicht in die ihren drang. Zum ersten Mal hatte er den Gedanken eines Menschen in sich gehört, wenngleich Alissas Geist ihn zuerst entziffern musste, damit er ihn verstand. Mav, so erkannte Alissa nun, verfügte über die Pfade eines Bewahrers, sie war nur nicht dazu ausgebildet, sie zu gebrauchen.
»Alissa?«, fragte Mav, so sanft und leicht wie eine Motte. »Sei so lieb und schließ die Tür, wenn du hinausgehst. Ich möchte mich noch etwas ausruhen …«
»Welche Tür?«, fragte Connen-Neute.
»Sie hat sich die Vision einer vertrauten Umgebung geschaffen«, erklärte Alissa. »Sie ist für Mav so wirklich wie …« Sie zögerte. Was war überhaupt wirklich? Ihr ganzes Leben war ein Traum. Sie schob diesen Gedanken beiseite und versuchte es erneut. »Mavoureen«, sagte sie. »Aus diesem Schlaf könnt Ihr nicht von allein aufwachen.«
»Ach?«, fragte die alte Frau unschuldig. »Ich bleibe ja nicht mehr lang. Lodesh und Earan kommen wunderbar ohne mich zurecht. Sie sind zu stattlichen Männern herangewachsen. Gute Männer, genau wie ihr Vater.« Sie seufzte. »Ich mache nur ein Nickerchen. Ich bin so mü de.«
Alissa erschrak. Sie hatte gar nicht an die Möglichkeit gedacht, dass Mavoureen vielleicht nicht zurückkehren wollte. »Kally!« Alissa stürzte sich auf das Erste, was ihr einfiel. »Kally vermisst Euch. Sie sitzt in der Küche und weint, weil Ihr nicht herunterkommen und Brot backen wollt.«
»Kally kann das allein«, sagte Mav, deren Gedanken wieder grau verschwommen. »Ich habe genug Brot gebacken. Siehst du das denn nicht? Genug Brot, genug Abendessen, genug kandierte Äpfel … Meine Hände sind müde.« Ihre Gedanken vermengten sich mit dem Duft von geröstetem Brot und wurden immer schwächer. »Ich will mich ausruhen.«
»Aber Mavoureen!«, beharrte Alissa, die allmählich in Panik geriet. »Es ist so ein herrlicher Tag! Der Wind weht von den Bergen her und riecht nach dem ersten Frost. Bitte. Geht Ihr mit mir ein Stück im Garten spazieren? Ihr könntet mir von dem Herrn erzählen, der Euch einmal dort umworben hat. Bitte?«, flehte Alissa, obgleich sie die Antwort bereits kannte. »Bitte erzählt mir, wie er Euch angelächelt hat.«
»Nein«, hauchte Mavoureen. »Geht nur, und amüsiert euch gut. Wir sehen uns später, dann können wir uns unterhalten.«
Und damit hatte Alissa verloren. Alles war umsonst. Alles ihre Schuld.
Bestie gab ein vulgäres Geräusch von sich. »Ja, schlaft nur, alte Frau. Ihr seid sowieso zu nichts mehr nütze.«
Alissa erstarrte. »Bestie«, zischte sie warnend, verstummte jedoch, als Mavs verblassendes Bewusstsein erneut aus dem Grau hervortrat.
»Das Mädchen wird Euren Platz einnehmen«, höhnte Bestie. »Sie wird Euer Brot backen, aber sie weicht die Pfannen viel zu lange in Lauge ein. Sie werden rosten.«
»Wer …«, kam Mavs zögerlicher Gedanke.
»Sie fegt nie bis in die Ecken, wenn Ihr es ihr nicht sagt«, behauptete Bestie hinterhältig.
»Kally!«, rief Mav empört.
»Angebrannte Pfannen, ungefegte Ecken. So etwas zieht das Ungeziefer an«, verspottete Bestie sie.
»Nein!«, schrie Mav.
»Euer bestes Käsemesser kratzt gerade das Moos von der Vordertreppe«, johlte Bestie höhnisch.
»Earan!« Es war ein zutiefst entsetzter Aufschrei, und Alissa wartete mit angehaltenem Atem.
Bestie spielte zuversichtlich ihre letzte Karte aus. »L odesh«, sagte sie, »will mit Euch tanzen. Die Euthymienbäume haben Knospen. Ihr habt nur noch einen Tag Zeit, um einen Hut zu finden, der zu Eurer Augenfarbe passt.«
»Die Euthymienbäume«, rief Mav beglückt. »Oh! Wenn ich mich nicht beeile, sind die besten Hüte schon weg. Und es wird ein Fest geben. Es gibt immer ein Fest, wenn die Euthymien blühen. Kally wird ein, zwei Schafe zusätzlich von den Weiden holen müssen, oder vielleicht eine schöne Sau. Und einen zweiten Karren Obst und Gemüse.« Atemlos hielt sie inne. »So viel zu tun!«, jaulte sie auf, und es klang vollkommen selig. »Wo …« In plötzlicher Verwirrung verstummte sie einen Moment. »Wo muss ich denn hin?«
Bestie schnaubte zufrieden. »Hier entlang, Mavoureen«, sagte Alissa, so
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