Alissa 3 - Die verlorene Wahrheit
an die Herrin des Todes. Sie wünschte, sie könnte so tun, als würde sie sich an nichts erinnern. Das würde vieles leichter machen. »Mav erinnert sich sehr wohl«, flüsterte Alissa.
Redal-Stan kehrte zum Fensterbrett zurück. Sein Schatten fiel auf sie, und sie erschauerte. »Ja«, sagte er. »Aber wenn jeder so tut, als wüsste er von nichts, wird sie ihren Stolz nicht verlieren. Ich werde ihr den selbst gewählten Schutz nicht einfach vor den Augen anderer wegreißen. Auf diese Weise wird sie nur mich hassen.«
Ein unbehagliches Schweigen dehnte sich aus, während er versuchte, ihren Blick aufzufangen. Schließlich gab er es auf und räusperte sich. »Warum«, fragte er, »ist Connen-Neute weggelaufen?«
Ihre Augen weiteten sich. Connen-Neute. Sie musste zu ihm, bevor Redal-Stan ihn sich vornahm! Er würde Redal-Stan von Bestie erzählen! Sie sprang hastig auf und taumelte zur Tür.
»Alissa«, sagte Redal-Stan argwöhnisch. »Wo gehst du hin?«
Sie zuckte entschuldigend mit den Schultern und rannte los.
»Alissa!«, drang sein erzürnter Gedanke in ihren Geist. »Schaff deinen schwach bewindeten Rücken hier rein, und erzähl mir, was du mit Connen-Neute angestellt hast!«
– 18 –
A lissa sauste zur Treppe, denn sie wusste, dass ihr wenige, kostbare Augenblicke bleiben würden, bis Redal-Stan sie einholte. Eine verrückte Bewahrerin durch die Flure der Feste zu jagen war unter seiner Würde, deshalb würde er ein gemesseneres Tempo einhalten. Mit hämmerndem Herzen sandte sie einen Gedanken auf die Suche nach Connen-Neute und fand ihn in einem der Übungsräume zwei Stockwerke tiefer. Er hatte etwas Verschwommenes an sich, als hätte er ein Feld aufgebaut, um sich darin zu verbergen. Sie durchschaute es ohne Mühe. Die Huckepack-Reise hatte ihm jede Chance genommen, sich vor ihr zu verstecken.
Sie baute selbst ein Feld auf, um ihren Aufenthaltsort vor Redal-Stan zu verbergen, und eilte die stillen Flure entlang, bis sie in der offenen Tür eines Übungsraums stand. Sie tat einen Schritt über die Schwelle, blinzelte ob des hier herrschenden Chaos und wartete, bis sich ihr Atem beruhigt hatte. Der hohe, schmale Raum war vollgestopft mit Stapeln von Leinwänden, grässlich stinkenden, dickflüssigen Farben, Pinseln, Tafeln, Beeren, Rinde, Blüten, Ton und allen möglichen anderen Dingen, aus denen man Pigment gewinnen konnte. Die Sonne fiel durch die Fenster und bildete prächtige Lichtpfützen, die sich von dem Durcheinander auf den Tischen bis auf den vollgestellten Boden ergossen. Es war kaum genug Platz zum Gehen.
Sie trat rasch ein, obwohl sie ihn nicht sah. Ihr Blick wurde von einer riesigen Leinwand angezogen, und vor Überraschung verschlug es ihr den Atem. Dies war das fesselnde Gemälde, das sie letzten Winter in einem der Lagerräume gefunden hatte, ganz in wirbelnden Blautönen gehalten; sie hatte es vergangenes Jahr an einem Ehrenplatz über dem Kamin im Speisesaal aufgehängt. Ihre Aufmerksamkeit glitt von der Leinwand zum Fenster, und es traf sie wie ein Schlag. Das war der Himmel über Ese’ Nawoer, verwirbelt von den Aufwinden über der Stadt! Sie berührte das Bild mit dem Zeigefinger und stellte fest, dass das prächtige Gemälde noch feucht war.
»Ach, Connen-Neute«, flüsterte sie ehrfürchtig, und er tauchte so hastig hinter einem Stapel Leinwände auf, dass er sie beinahe umgeworfen hätte. Sein schmales Gesicht war weiß vor Panik, und er warf einen hastigen Blick auf die Tür hinter ihr. Mitleid überkam sie, als sie erkannte, dass er das Gefühl hatte, mit einem wilden Tier eingeschlossen zu sein. Sie bemühte sich, Augenkontakt herzustellen, und rückte von der Tür ab, damit er nicht gezwungen war, aus einem Fenster zu springen, um vor ihr zu fliehen. »Warte. Gib mir eine Chance, es dir zu erklären«, sagte sie.
»Erklären?«, fragte er mit brechender Stimme. »Da gibt es nichts zu erklären.«
Immer noch weigerte er sich, ihrem Blick zu begegnen. »Ich weiß, dass du etwas gesehen hast, das dir Angst gemacht hat«, sagte sie.
»Ich … ich weiß nicht, was du meinst.« Seine gesprochenen Worte nahmen die Ausführlichkeit und Tiefe seiner geistigen Sprechweise an, als fürchte er sich davor, ihre Gedanken zu berühren. Sie trat einen Schritt näher, und er schrie: »Nein!« Es klang verzweifelt, und sie blieb stehen, erschrocken über das Grauen in seiner Stimme.
Alissa blieb an ihrem Ende des Raums und legte eine Hand auf die Brust. »Sie ist hier«,
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