Alissa 4 - Die letzte Wahrheit
sich am Boot fest, das sich nach vorn neigte.
Mit flammendem Gesicht schob sie sich an ihm vorbei. »Ich ziehe mich um«, sagte sie. »Dreh dich nicht um.«
»Das kannst du doch tun, wenn wir dort sind!«
Sie biss die Zähne zusammen, teils aus Verlegenheit, teils aus Gereiztheit. »Ich will nicht, dass mich jedermann im Nachthemd sieht«, erklärte sie angespannt. »Dreh dich nicht um!«
»Es ist nicht jedermann. Nur Connen-Neute und der Kapitän. Und vielleicht noch Hayden.« Sie schwieg, und Strells Schultern sanken mit schwerem Seufzen herab, als er sich wieder in die Riemen legte.
Sie behielt ihn im Auge und zog ihre Kleider über das Nachthemd. Es war dünner als ihre gewöhnlichen Unterkleider, und sie hatte das Gefühl, nur halb angezogen zu sein. Ihr Gesicht war immer noch warm, als sie auf ihren Platz zurückkehrte. Sie konnte ihm nicht ins Gesicht sehen. »Was hast du da noch drin?«, fragte sie, denn sie wollte Strells Gedanken auf irgendetwas anderes lenken als die Tatsache, dass sie sich hinter ihm angezogen hatte.
»Dies und das«, erklärte er geheimnisvoll.
»He!«, rief sie, als sie auf einen vertrauten Gegenstand stieß. »Das Haarband meiner Mutter?«, fragte sie, zog es heraus und ließ es vor seinem Gesicht baumeln. »Ich meine das, das sie mir geschenkt hat! Du hast es von meinem Bündel losgemacht?«
Er nickte, und sie band sich das Haar aus dem Gesicht. »Meines ist auch da drin«, sagte er. »Vorsicht. Zerbrich die Kugel nicht.«
Ihre Finger ertasteten etwas, das sich glatt und kühl anfühlte. Schatten erblühten am Boden des Ruderboots, als sie einen kleinen Lichtbann wirkte, um sich die faustgroße Kugel anzusehen, die sie nun aus dem Bündel zog. Sie war erschreckend leicht, und Alissas Augen weiteten sich, als sie erkannte, dass sie aus Glas war. Strell hatte eine Glaskugel!
»Sei vorsichtig!«, warnte Strell erneut. Er ließ die Ruder los und legte eine Hand über ihre.
»Wann hast du sie gekauft?«, fragte sie ehrfurchtsvoll. Sie musste von der Küste stammen, da man Glas dort für ein Lied kaufen konnte, während man östlich der Berge ein Leben lang dafür hätte schuften müssen.
»An unserem ersten Tag an der Küste«, sagte er. »Zerbrich sie ja nicht. Ich werde sie heute Abend brauchen.«
»Wozu denn?«, fragte sie und legte die Kugel vorsichtig zurück.
Strell lächelte sie schief an. »Das wirst du schon sehen. Der Kapitän kennt nur die Hochzeitsbräuche der Küste. Dafür sind die Bänder. Er wird unsere Hände zusammenbinden wollen. Aber ich habe ihn gebeten, auch einen Eimer Sand bereitzuhalten, damit die Hochzeit auch im Tiefland anerkannt wird, und die Glaskugel werde ich benutzen, um die Ansprüche der Feste zu erfüllen.«
»Aha«, sagte sie und fragte sich, was Sand und eine Glaskugel mit der Legalität einer Hochzeit zu tun haben mochten. Während Strell weiterruderte, suchte sie besorgt die mondhelle Nacht nach Schwingen und forschenden Gedanken ab, fand aber nur Connen-Neute, der sie am Bug der Albatros erwartete.
»Beeilt euch«, rief der große Meister laut zu ihnen herab, als sie näher kamen. »Und lösch dein Licht, Alissa. Der Kapitän sagt, wir müssen sofort ablegen, damit wir zurück sind, ehe man ihn vermisst. Wenn das Schiff bei Sonnenaufgang nicht wieder hier vor Anker liegt, werden sie wissen, dass ihr die Insel verlassen habt.«
»Ahoi, Albatros!«, rief Strell und wartete, bis Haydens schwarze Silhouette vor dem Sternenhimmel ihnen zuwinkte, ehe er Alissa half, die glitschige Strickleiter hochzuklettern. Eine lange, dünne Hand streckte sich ihr entgegen, und Connen-Neute zog sie über die Reling.
»Connen-Neute«, sagte sie, und ihre Stimme summte vor Erregung.
»Alissa«, entgegnete er ernst, doch seine Augen glitzerten schelmisch im Licht der Öllampe am Steuer. »Du weißt, dass das Schwierigkeiten nach sich ziehen wird?«
Sie nickte, und ihr Magen verknotete sich. Schwierigkeiten? Connen-Neute neigte zur Untertreibung. »Aber wir haben Nutzlos’ Bedingungen erfüllt, nicht wahr? Stimmst du mir da zu?«
Seine Miene wurde verschlagen. »Deshalb habe ich mich ja bereiterklärt, als Trauzeuge die Feste zu vertreten.« Er beugte sich vor und half Strell über die Reling. »Und um dafür zu sorgen, dass euer Ehegelübde den Anforderungen der Feste genügt. Ich werde nicht zulassen, dass Keribdis eure Ehe wegen irgendeiner kleinen Formalität für nichtig erklärt.«
»Ich danke dir«, sagte sie aus tiefstem Herzen.
Die schweren
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