Alissa 4 - Die letzte Wahrheit
der Kapitän und lief rot an. »Ich habe Euch doch gesagt, ich will keinen Sand auf meinem Deck!«
»Ich kehre ihn auf«, erwiderte Strell und zog Alissa mit sich.
Der Sand knirschte auf dem Holz, als sie darauf traten, und Kapitän Sholan gab ein unschönes Geräusch von sich.
»Was soll ich tun?«, flüsterte sie.
Strell lächelte. »Mach es mir nach.« Er bückte sich, und sie folgte ihm, ein wenig ungeschickt wegen ihrer zusammengebundenen Hände. Der Sand war kalt, als sie eine Handvoll davon in die Handfläche ihrer gebundenen Hand schaufelte. Gemeinsam erhoben sie sich und lächelten den zornigen Kapitän an. Mit der freien Hand nahm Strell seinen Hut ab und hielt ihn unter ihre gebundenen Hände. Alissa war nicht überrascht, als er seinen Sand hineinrieseln ließ. Sie machte es ihm nach. Tränen schnürten ihr die Kehle zu.
Connen-Neute trat vor und nahm Strell den Hut ab. »Mögen eure Nachkommen so zahlreich sein wie die Sandkörner der Dünen«, sagte der junge Meister, und sie sah, wie Strell die Worte lautlos mitsprach, als wollte er sich vergewissern, dass er sie auch richtig sagte.
»Nein!«, schrie der Kapitän in Panik, als Connen-Neute Sand über das Deck verstreute. »Die Wölfe des Navigators sollen Euch fressen!«, brüllte er zornig. »Ihr werdet jedes einzelne Körnchen aufsammeln! Und dann werdet Ihr sie neu streichen!«
Alissa scherte sich nicht darum. »Jetzt?«, fragte sie und zog Strell näher zu sich heran. »Darf ich dich jetzt küssen?«
»Noch nicht«, erwiderte er und trat neckend einen Schritt zurück.
Während der Kapitän schäumte, rückte Connen-Neute seine Meisterweste zurecht und setzte eine noch offiziellere Miene auf. »Es ist der Brauch«, sagte er und schlug einen zeremoniellen Tonfall an, »dass zwei Rakus, die ihrer beider Leben miteinander vereinen, ihren Willen dazu bekunden, indem sie zwei Lichtbanne verschmelzen.«
Alissa blickte erschrocken zwischen Connen-Neute und Strell hin und her. »Aber Strell kann keinen Lichtbann …«, hob sie an, doch Strells schalkhaftes Grinsen ließ sie verstummen.
»Dann sieh her«, sagte er und bückte sich nach seinem Bündel. Da Alissa an ihm festgebunden war, wäre sie beinahe umgefallen, als das Schiff krängte und sie um ihr Gleichgewicht kämpfen musste. Er holte die Glaskugel heraus und reichte sie ihr. Sie hielt sie fest, während er umständlich den kleinen Tonkrug nahm, den Connen-Neute ihm reichte. Vorsichtig, weil nur mit einer Hand, tröpfelte er ein wenig duftendes Öl in die kleine Öffnung oben an der hohlen Kugel. Ihre Augen weiteten sich, denn nun verstand sie, warum er die Flamme vorhin selbst hatte erzeugen müssen. Sie baute das Muster auf ihren Pfaden auf, mit dem sie ein Licht erschuf, ließ den Bann aber noch nicht wirksam werden.
Strell lächelte und schaffte es, verlegen und verschlagen zugleich auszusehen. Alissa hielt die Kugel fest, während Strell mit einem trockenen Ästchen, das nach Euthymienholz roch, die Flamme von der Lampe, die er vorhin entzündet hatte, in die Kugel hinüberführte. »Lass mich sie halten«, flüsterte er und nahm ihr die leuchtende Kugel ab. »Und beeil dich. Da drin ist nicht genug Luft, als dass es lange brennen könnte.«
Alissa schnappte nach Luft. »Mit einem Feld?«, fragte sie Connen-Neute.
»Ja!«, rief er. »Leg dein Licht über seines. Schnell! Bevor es erlischt!«
Mit hämmerndem Herzen erschuf Alissa ein Feld voller magischem Licht, nicht größer als Strells profane Kugel voll Feuer. Das Feld erschien in ihrer freien Hand. Sie hielt den Atem an und schob es über Strells Erfindung aus Glas und Flammen. Der Kapitän und Hayden sahen mit großen Augen zu, doch Connen-Neute seufzte zufrieden, als die nun vereinigte Kugel umso heller leuchtete. Alissa blickte hastig von dem Feuerball zu Strell auf, als das Licht schwächer wurde. Sie ließ ihren Bann fallen, und die Nacht wurde dunkel.
»War das genug?«, hauchte sie, denn ihr ganzer Körper sehnte sich schmerzlich danach, Strell näher zu sein.
Connen-Neute kicherte. »Eigentlich gehört noch mehr dazu, aber die gesamte Zeremonie dauert drei Tage. Der einzige Teil, den das Gesetz verlangt, sind die Lichtbanne. Das ist die älteste Tradition.«
»So habe ich das nicht gemeint«, sagte Alissa, die endlich Strells Arme um sich spüren wollte.
Strell schüttelte den Kopf. »Eines noch«, sagte er. Ihre Knie wurden schwach, als Strell die rußgeschwärzte Kugel an Connen-Neute übergab. Er kramte in
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