Alissa 4 - Die letzte Wahrheit
tun, was ich will. Wenn Connen-Neute sie am Leben erhält, ist es vielleicht einfacher für ihn, wenn sie genau so sitzt wie er.« Unbeholfen kniete er sich hinter Alissa. Sie glitt zu Boden, nur noch halb gestützt von dem Tiefländer. »Verzeih mir, falls ich mich irren sollte, Alissa«, hörte Yar-Taw ihn flüstern, während er sie mühsam aufrichtete wie eine Puppe. Strell schnappte hoffnungsvoll nach Luft, als sie sich fast allein aufrecht hielt. »Es klappt!«, flüsterte er, und Alissa sah beinahe ganz normal aus.
Neugwin hob den Kopf. Ihr tränennasses Gesicht war ausdruckslos. Strell legte Alissas Hände in ihren Schoß, wie er es bei Connen-Neute sah. Ihre Finger krümmten sich wie Connen-Neutes, obwohl sie gebrochen waren. Vorsichtig zog Strell die stützende Hand fort. Alissa blieb aufrecht sitzen.
Mit zornig angespanntem Gesicht stand Strell auf. »Ich will dieses Zelt hier haben«, erklärte er angriffslustig.
»Ich mache das«, sagte Neugwin unvermittelt.
»Ich helfe dir«, fügte Wyden hinzu.
Strells Zorn verrauchte. Der Blick, den er den beiden Frauen zuwarf, floss förmlich über von aufrichtiger Dankbarkeit. Yar-Taw, der ein so rasches Umschlagen von Gefühlen eigentlich gewohnt war, stieß dennoch ein überraschtes Brummen aus. Neugwin erhob sich mit Wydens Hilfe. Die beiden gingen vor Yar-Taw vorbei. Neugwin streckte die Hand aus, berührte Connen-Neute jedoch nicht.
Yar-Taw blinzelte, als er merkte, dass Strell ihn hitzig und vorwurfsvoll anstarrte. Der Mann hielt sich an einem der Stühle fest. Die Anstrengungen der vergangenen Tage machten Strell offensichtlich zu schaffen; Müdigkeit schien an ihm zu knabbern wie ein Straßenköter. »Legt einen Frischebann auf Kralle«, forderte Strell barsch.
»Strell …«
Der Tiefländer kniff die Augen zusammen. »Ich habe hier gesessen und nichts getan«, sagte er. Seine Hand zitterte, als er sie ausstreckte, um Lodesh am Sprechen zu hindern. »Ich habe genug davon. Jedes Mal, wenn ich einen von euch Meistern in die Nähe meiner Alissa lasse –«
»Deine Alissa?«, fragte Yar-Taw.
»Meine Alissa«, wiederholte Strell mit harter Stimme. »Jedes Mal, wenn mir einer von euch sagt, was das Beste für sie ist, ist sie nachher bewusstlos, schwer verbrannt, gebannt oder dem Tode nahe. Ich bin es leid, sie ständig zu retten. Hört mir jetzt zu. Und tut, was ich sage.« Strell straffte die Schultern und stieß Yar-Taw den Zeigefinger gegen die Brust. »Und ehe Ihr mir herablassend kommt: Ich bin kein Schüler. Ich bin kein Bewahrer. Ich bin Strell Hirdun, Pfeifer der Feste mit Gemächern im Turm. Ihr werdet mich mit dem gebührenden Respekt behandeln.«
Yar-Taw blieb der Mund offen stehen. Er hätte den Mann mit einem bloßen Gedanken töten können. Wie konnte Strell sich einbilden, ihm gleichgestellt zu sein? Sein Blick huschte zu Lodesh hinüber. Der Bewahrer stand schockiert und erschrocken da. »Pfeifer der Feste?«, fragte Yar-Taw.
»Pfeifer der Feste«, knurrte der aufgewühlte Tiefländer. »Habt Ihr verstanden?«
Yar-Taw war vollkommen ratlos. Der Mann war wie ein kleiner Hund, der kläffend um die Fersen eines Bullen sprang. Doch was würde es einen Meister schon kosten, ihm entgegenzukommen? Ihn zu besänftigen, konnte nicht schaden, und der Mann hatte wahrhaftig so viel Mut wie ein Raku. »Was willst du?«, fragte Yar-Taw.
Strell hob Alissas Vogel auf. Er entfernte sich nicht weiter als einen Schritt von Alissa und wandte sich Yar-Taw zu. Sein Gesicht war von Zorn und Trauer gezeichnet, und er hielt den kleinen Vogel in den Armen wie ein Kind. »Legt einen Frischebann auf Kralle«, sagte er mit brechender Stimme. »Wenn Alissa wieder aufwacht, wird sie richtig von ihr Abschied nehmen wollen, nicht von einem Häuflein im Sand.«
»Strell …«, begann Yar-Taw, überlegte es sich jedoch anders, als Strell sichtlich die Zähne zusammenbiss. »Also schön«, sagte Yar-Taw zurückhaltend und verzog das Gesicht, als seine verletzten Pfade schmerzten. Das war wirklich eine Kleinigkeit, und keine Auseinandersetzung wert. Und es war einfacher, als dem Mann zu sagen, dass sie nicht aufwachen und sich verabschieden würde.
Der Tiefländer sackte in sich zusammen, als hätte sich ein harter Knoten schmerzhafter Gefühle gelöst. »Sobald ich sicher bin, dass Alissas Zustand sich nicht verschlechtert, gehe ich zum Schiff. Lodesh, du kommst mit. Ich werde deine Hilfe beim Segeln brauchen.«
»Zum Schiff?«, fragte Lodesh erstaunt. »Du wirst es
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