Alissa 4 - Die letzte Wahrheit
noch heute Abend aus der Welt schaffen. »Die beiden stehen seit einiger Zeit in Traumberührung«, sagte er. »Sie sind bereits Freundinnen geworden. Was wird Silla denken, wenn du Alissa ständig angreifst, und das nur aus dem Grund, weil sie offenbar viele Banne beherrscht?«
Keribdis’ dünne Schultern sanken ein wenig herab. »Ja. Da hast du recht. Ich werde – verständnisvoller sein.«
Yar-Taw unterdrückte eine frustrierte Reaktion. Ihr Eingeständnis war allzu rasch gekommen. Es war also nicht die Freundschaft zwischen Silla und Alissa. Es war etwas anderes. »Bitte sag mir, dass du dich nicht deshalb so verhältst, weil es ihr gelungen ist, Häppchen zu reiten«, sagte er. Es würde Keribdis ähnlich sehen, sich auf eine so triviale Sache zu stürzen.
Sie runzelte die Stirn. »Ich bin nicht wütend wegen meines Pferdes.«
»Weshalb dann?«, fragte er.
Mit nachdenklich gerunzelter Stirn holte Keribdis Luft, um es zu erklären, und hob dann den Zeigefinger, als wollte sie sagen: Warte. Yar-Taw folgte ihrem Blick quer durch die Hütte zu Alissa, die langsam aus der Dunkelheit trat. Sie sah stolz, aber ein wenig unsicher aus und ließ sich im Schneidersitz auf einer der breiten Bänke am Rande nieder. Der Falke auf ihrer Schulter starrte zu ihnen herüber, und Yar-Taw fühlte sich unwohl.
Ein Lächeln breitete sich über Alissas Gesicht, als Strell ihren Blick auffing. Auch Lodesh wandte sich ihr zu – offenbar hatte Strells plötzliches Interesse an den Zuhörern ihm gesagt, dass sie hier war. Sogleich erhob sich der Stadtvogt, um sich zu ihr zu setzen. Strells Strom von Worten holperte ein wenig, und der Tiefländer runzelte kurz die Stirn. Yar-Taw wurde nachdenklich. Was, fragte er sich, ist das?
»Irgendetwas stimmt nicht«, sagte Keribdis und biss die Zähne zusammen.
Yar-Taw fuhr sich mit der Hand übers Kinn und hoffte, dass die Frau endlich damit herausrücken würde, was sie störte, damit ihm noch genug Zeit blieb, dem Problem zu begegnen. »Ich glaube nicht, dass mit Alissa etwas nicht stimmt«, sagte er langsam. »Sie ist eine Transformantin. Das musst du berücksichtigen. Sie ist uns so ähnlich, dass die kleinen Absonderlichkeiten, die sie ihrer menschlichen Erziehung verdankt, uns umso mehr auffallen.«
Keribdis runzelte die Stirn. »Das ist es nicht«, sagte sie. »Irgendetwas stimmt da nicht.« Sie funkelte Yar-Taw an, als er Luft holte, um zu widersprechen. »Mit ihr stimmt irgendetwas nicht!«, sagte sie leise, aber eindringlich. »Sieh dir nur ihre gedankliche Signatur an«, fügte sie hinzu. »Hör genau hin.«
Yar-Taw führte eine mentale Suche durch und fand Alissa mit Leichtigkeit, neben dem Stadtvogt, wo seine Augen sie ihm gezeigt hatten. »Ich spüre nichts«, sagte er und fand Alissas geistige Signatur sehr nett: hell und warm, wie ein Feld voller Wilder Möhren am Mittag.
»Sieh nicht hin. Lausche«, sagte Keribdis. Ihr Zorn war verraucht, und sie sah nun viel schöner aus. Ihre Augen leuchteten bei der Herausforderung, ein Rätsel zu lösen, und Yar-Taw spürte einen schmerzlichen Stich. Früher einmal war sie immer so gewesen. »Hörst du das?«, fragte Keribdis, deren hitziges Temperament auf einmal sanfter wirkte. »Es ist beinahe so, als …« Sie blickte auf, und ihr Gesicht nahm einen ängstlichen Ausdruck an. »Es ist beinahe, als wäre da ein Echo.«
»Ein Echo? Was könnte die Ursache dafür sein?«, fragte Yar-Taw, der sich nun ernstlich Sorgen machte.
»Ich habe so etwas erst einmal gesehen. Ich glaube …« Keribdis unterbrach sich und strich sich den Rock über den Knien glatt. »Ich weiß es noch nicht mit Sicherheit«, sagte sie, doch Yar-Taw vermutete, dass sie log.
– 20 –
E inen Tanz!«, rief jemand, und Lodesh lächelte. Es war viel zu lange her, dass er zuletzt die Stimme eines Meisters so ausgelassen und fröhlich gehört hatte. »Spiel uns einen Tanz, Strell. Ein Pfeifer der Feste ist eine großartige Idee! Beso-Ran kann Bier brauen, aber er spielt so schlecht, wie er fliegt.«
Die Übrigen lachten und jubelten, und ihre Sorgen um Alissa waren offenbar von Strells Geschichten über ihre abenteuerlichen Missgeschicke besänftigt worden. Der Pfeifer beherrschte dieses politische Spielchen besser, als Lodesh es ihm zugetraut hätte. Und Strell würde nun ein Tanzlied spielen müssen, wenn er die kollektive gute Laune der versammelten Meister nicht ruinieren wollte. Meister feierten für ihr Leben gern, und Lodesh war sicher gewesen,
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