Alissa 4 - Die letzte Wahrheit
fürchte, unsere kleine Versammlung zeigt erste Anzeichen dafür, zu einem von Beso-Rans drei Tage währenden Festen zu eskalieren. Er hat uns seinen jüngsten Versuch vorgesetzt, Bier zu brauen.« Er schüttelte den Kopf und klopfte sich den Sand von der Weste. »Ich glaube, diesmal ist es ihm gelungen. Heute Abend werden wohl mehr als nur ein paar von uns auf dem Boden schlafen. Es ist zu viel Zeit vergangen, seit wir zuletzt etwas zu feiern hatten.« Er streckte ihr die lange Hand entgegen, um ihr aufzuhelfen.
Alissa wand sich und blieb reglos sitzen. Wie konnte sie jetzt dorthin zurückgehen? Sie hatte die anderen mitten in einem Streit einfach stehen lassen.
Yar-Taws Hand sank herab. »Du brauchst dich nicht zu schämen. Du warst nicht diejenige, die theatralisch auf und ab gegangen ist. Offen gestanden bin ich beeindruckt«, fügte er hinzu und blickte zu der Düne, hinter der die offene Hütte lag. »Wenn Keribdis sich jemanden vornimmt, verdreht sie für gewöhnlich so lange dessen Worte, bis derjenige die Beherrschung verliert.« Er lächelte. »Du bist einfach gegangen, und das hat sie furchtbar wütend gemacht.«
Alissa beobachtete, wie Yar-Taws lächelndes Gesicht in der Hitze des Feuers verschwamm. Sie hatte Keribdis wütend gemacht, indem sie gegangen war? Das, dachte Alissa hämisch, eröffnete ganz neue Möglichkeiten. Schließlich konnte niemand ihr Vorwürfe machen, weil sie sich nicht mit Keribdis stritt. Und wenn das die Frau reizte …
Yar-Taw grub eine Stiefelspitze in den Sand. »Sie erwartet dich morgen früh am Strand«, sagte er warnend. »Wenn du nicht kommst, wird sie das gegen dich benutzen.«
»Sie ist nicht meine Lehrmeisterin«, erwiderte Alissa und malte mit einem Finger die Zeichnung auf Kralles Gefieder nach.
»Dann nenne es für dich nicht Unterricht. Stell es dir als eine Art Prüfung vor«, sagte er. »Alle wollen wissen, welche Banne du besitzt und welche sie in deiner Nähe nicht ausführen dürfen.«
Sie sagte nichts. Sie würde nicht am Strand sein, wenn die Sonne aufging. Eher würde sie sich betrinken. Alissa erstarrte und blinzelte, als ihr diese Idee kam. Das könnte sie tatsächlich. Connen-Neute hatte nur ein paar Augenblicke dafür gebraucht. Wie schwer konnte das also sein?
»Strell hat versprochen, uns zu erzählen, wie Connen-Neute wieder zur Bewusstheit gelangt ist«, sagte Yar-Taw, und sie blickte zu ihm auf. »Er hat mit seiner Musik bereits die Aufmerksamkeit des halben Konklaves auf sich gezogen. Ich verstehe, warum du ihn mitgebracht hast. Er ist sehr gut darin, subtil unsere Emotionen zu lenken.«
Ein belustigtes Schnauben entschlüpfte ihr. Strell hatte drei Winter lang Zeit gehabt, das an ihr zu üben. Sie nahm an, dass er bald mit einem Großteil der Meister befreundet sein würde, sofern Connen-Neute mit seiner Faszination für Strells Musik kein Einzelfall war. Sie war wieder einmal die Einzige, die nicht recht dazupasste. »Äh, geht Ihr doch vor«, sagte sie, und als Yar-Taw die Augenbrauen hochzog, fügte sie hinzu: »Ich möchte … es mit einem größeren Feld versuchen.«
Er entspannte sich sichtlich. »Ich möchte nur nicht, dass du uns meidest. Keribdis ist nicht die Einzige in unserem Konklave. Nicht wenige freuen sich sehr darauf, dich kennen zu lernen. Äh, aber ich würde vorschlagen, dass du dein Geschick mit Feuerfeldern vorerst für dich behältst.«
Alissa nickte. »Diese Fähigkeit würde meinem Ansehen kein bisschen helfen, nicht wahr?«
Yar-Taw blickte zur Hütte hinüber, und im Sternenschein sah sie ihn lächeln. »Nein. Würde sie nicht.«
Sie nickte. »Ich komme bald nach.«
Damit war er offenbar zufrieden, denn er stieg die Düne wieder hinauf, aber langsam, behindert vom losen Sand. Alissa sah ihm nach, bis er verschwand. Sie verließ sich darauf, dass Kralle sie warnen würde, wenn noch jemand hier erschien, und widmete sich wieder dem Feuer. Es wäre schön, eine Fähigkeit zu besitzen, die den anderen Meistern zu mühsam zu erlernen war. Damit würde sie beweisen, dass sie ebenso gut war wie sie, obwohl sie eine Mutter hatte, die niemals auf dem Wind geritten war.
– 19 –
Y ar-Taw setzte sich am Rand des lärmenden Geschehens auf einen der Tische, voller Essen, aber nun verlassen, und beobachtete, wie Keribdis schäumte, weil sich das Kräfteverhältnis innerhalb des Konklaves verschob. Obgleich fast alle sich um Strell drängten, der erzählte, wie Connen-Neute seine Bewusstheit wiedererlangt
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