Alix ... : Historischer Roman (German Edition)
„nachdem keiner weiß, wer der Mörder dieses Castelnau ist? Ich unke nicht, wenn ich Euch sage: Bald wird man den Ermordeten heiligsprechen für seinen Kampf gegen die Häresie! Und dann gnade uns Gott.“
„Leert Eure Becher, Brüder, und reitet nach Hause“, sagte der Graf von Toulouse müde. „Ich will mein Bestes geben, Euch nicht mit hineinzuziehen, doch bereitet Euch für den Krieg vor.“
Er stand auf und hob die Hand. „ Escoutatz! Um eines will ich Euch noch bitten, Freunde: Glaubt fortan von dem, was man über mich sagen wird, nur die Hälfte!“
2.
Alix von Rocaberti erschrak. Ein großer Vogel peitschte im Flug mit seinen Schwingen am Fenster vorbei und unterbrach damit die unnatürliche Stille, die im Palatium herrschte.
Nach stundenlanger fieberhafter Suche hatten sich alle erschöpft in ihre Gemächer und Kammern zurückgezogen.
Doch an Schlaf war nicht zu denken. Es war wie ein Zwang: Wieder und wieder musste Alix den Brief lesen, den sie am späten Nachmittag in wilder Aufregung hervorgekramt hatte. Vielleicht stand ja zwischen den Zeilen, wohin der Cahors ihren Sohn gebracht hatte!
Einige Monate nach Damians Geburt war ihre Mutter gekommen und hatte ihr das Schriftstück ausgehändigt. Und wie Kloakendreck um so mehr stinkt, je länger man in ihm rührt, war beim Lesen all das Schreckliche, das Alix in Cahors erlebt hatte, wieder über sie hereingebrochen …
Statt meine untertänige Magd zu sein, habt Ihr mein Palais in Brand gesetzt und einen Teil meiner Schätze gestohlen, Alix von Montpellier! Und das zu einem Zeitpunkt, als ich mich aus einem einzigen Grund in Rom befand, nämlich um Euch nach meiner Rückkehr zu Eurem Recht zu verhelfen. Doch was musste ich im Lateran erfahren? Ihr habt mich dort schlecht gemacht. Ein schwerer Sturm auf der Rückreise, der mich an den Rand der Hölle geführt hat und die nachfolgende Entdeckung Eurer Flucht haben mir die Augen endgültig über Euch geöffnet. Der elende Verrat, von dem noch immer die ganze Stadt spricht, wird die letzte der vielen Schmähungen sein, die Ihr mir zugefügt habt. Ich sage mich daher los von Euch, Alix von Montpellier. Ich verstoße Euch wie Abraham seine Magd Hagar verstoßen hat. Möget Ihr bei Eurer Rückkehr auch jammern und klagen, dass es die Steine barmt, so werdet Ihr keinen Eintritt und keine Gnade mehr bei mir finden.
Der Sohn jedoch, den Ihr inzwischen, wie ich wohl weiß, geboren habt, ist und bleibt mein eigen! Sobald er kräftig genug für die Reise ist, werde ich ihn zu mir holen. Denn Ihr habt kein Recht auf ihn, habt Ihr Euch doch hinter meinem Rücken davongeschlichen wie ein Dieb in der Nacht …
Mit Asinus asinorum in saecula saeculorum - „Der Esel auf ewig“, hatte der Cahors den Brief unterzeichnet. Finsterer Spott, hinter dem sich Gift und Galle verbarg?
Alix, die Hände ineinander verhakt, war verzweifelt - und wütend.
Sobald er kräftig genug für die Reise ist, werde ich ihn zu mir holen ...
Obwohl fast fünf Jahre verstrichen waren, seit Bartomeu diese Zeilen schrieb, Jahre, in denen sie Damian kaum aus den Augen gelassen hatte, wusste sie nun, dass jedes Wort ernst gemeint war. Damals - noch erschöpft und blass von der schweren Geburt und dem langen Krankenlager danach - hatte sie ihrer Mutter erzählt, was ihr in Bartomeus Turm widerfahren war, und Doña Agnès war vor ihr auf die Knie gesunken und hatte sie unter Tränen um Verzeihung gebeten ...
Alix fuhr hoch, lauschte. War da jemand auf dem Gang? Hatten sie Damian gefunden?
Die Schritte führten vorbei. Dafür drang jetzt aus Inés` Gemächern Kindergeschrei: Ray brüllte, Raymond-Rogers Sohn gleichen Namens, der Stolz Carcassonnes! Lange hatte die Schwester auf dieses Kind gewartet, immer wieder gebangt. Ihr einziger Daseinszweck sei doch, hatte sie nach der zweiten Totgeburt geklagt, Carcassonne einen Erben zu gebären. Es war ihr heute nicht klarzumachen gewesen, dass dem Erzbischof nur an seinem Sohn, an Damian, gelegen war.
Esther hatte den Jungen zu Pater Hugo bringen wollen, der ihn seit kurzem Latein lehrte, als sie im Hof über eine herausstehende Wurzel stürzte und der Junge ihr davonlief. Aaron hatte später ausgesagt, er hätte bei offenem Fenster gehört, wie Esther mehrmals gerufen hätte: „Ich krieg dich, kleiner Spielmann, warte nur!“
Der Ausspruch „kleiner Spielmann“ ging auf Villaine zurück, der den Jungen damit neckte, wann immer er in Carcassonne weilte.
Zu dritt waren sie irgendwann vor
Weitere Kostenlose Bücher