Alix ... : Historischer Roman (German Edition)
sie noch richtig kennengelernt hatte, führte der Vizegraf Inés ein Stück zur Seite, um mit ihr zu reden. Er sah, dass sie tapfer mit den Tränen kämpfte. Sie musste sich dreinschicken.
10.
Der Zisterzienser Gui, einer der beiden päpstlichen Legaten, die für die Bekämpfung der Häresie eingesetzt worden waren, stand vor Papst Innozenz und schwitzte.
„ ... und der Hostienmissbrauch will kein Ende nehmen“, fügte er mit heiserer Stimme seinem Bericht hinzu. „Die Leute stecken den Leib des Herrn in die Bienenstöcke, um einer Epidemie Einhalt zu gebieten, sie streuen ihn über den Kohl, damit er besser wächst und die Raupen verscheucht, ja, die Männer behalten die Hostien sogar im Mund, um sich auf diese Weise Frauen gefügig zu machen!“
In wahren Bächen lief dem untersetzten Gui der Schweiß über den Rücken, was nicht daran lag, dass es im Lateran an diesem Tag besonders heiß gewesen wäre, sondern dass sein Gegenüber einfach nicht davon zu überzeugen war, dass das Schreckgespenst der Häresie nicht in der übertriebenen Prachtentfaltung des Klerus` zu suchen war, sondern im dummen Aberglauben des Volkes.
Innozenz, ebenfalls im einfachen Habit eines Zisterziensers, das ovale Gesicht blass, verzog ärgerlich seinen kleinen Mund. Nun waren die Legaten mit der Dekretale Vergentis - der Androhung der Güterkonfiskation auch für Ketzer-Sympathisanten - ganze vier Jahre durch Okzitanien gezogen, um die Füchse zu fangen, die den Weingarten des HERRN verwüsteten, doch was hatte sich geändert? Nichts. Im Gegenteil, alles war noch viel schlimmer geworden. Es war gänzlich aussichtslos, mit Gui und Rainer die Häresie bekämpfen zu wollen. Aus Erde geformt ist der Mensch, empfangen in Schuld und geboren zur Pein , hatte Innozenz vor einigen Jahren - noch als Kardinal Lotàrio - in seinem Traktat De miseria humanae conditionis geschrieben: Der Mensch handelt schlecht, gleichwohl es ihm verboten ist, er verübt Schändliches, das sich nicht geziemt, und setzt seine Hoffnung auf eitle Dinge, deren Ende zudem noch ungewiss ist. Nun musste er feststellen, dass seine eigenen Legaten sich in nichts von diesem Menschenbild unterschieden, und dass es vor allem die „eitlen Dinge“ waren, die es ihnen angetan hatten.
Der Papst ließ sich seine Enttäuschung deutlich anmerken - nicht jedoch, dass er Gui und Rainer durchschaute. Der Verdacht, dass sie sich bereicherten, war durch zwei Briefe bestätigt worden. Der eine stammte von einem alten Priester aus Montpellier, der andere von Bischof Sicard aus Cahors. Beide Schreiben hatten an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig gelassen: Der darin angeklagte Fürstbischof Bartomeu hatte sich - wie auch der Erzbischof von Narbonne - seine Freiheit bei den Legaten Roms erkauft!
Bevor Innozenz jedoch Gui und Rainer von ihrem Amt entband, mussten Vorkehrungen für die Zukunft getroffen werden. Zwei neue Legaten waren ihm wärmstens empfohlen worden, und diese bereiteten sich bereits im Kloster Fontfroide auf ihr schwieriges Amt vor.
„Nicht der Aberglaube des Volkes ist es, der Uns betrübt und Sorgen bereitet“, entgegnete Innozenz unter Aufbietung größter Geduld, „sondern dass Unsere wahre Aufgabe, nämlich den Glauben rein zu halten, untergeht im Streit derer, die sich der Macht und dem Reichtum verschrieben haben: der Adel und das Episkopat. Jede Seite glaubt, ein größeres Anrecht auf den Zehent zu haben. Dass diejenigen Bischöfe in Okzitanien, die aus katharischen Familien stammen, keine großen Anstrengungen unternehmen, um der Häresie Herr zu werden, war Uns bekannt, nicht jedoch, dass sie sich auch noch bereichern, indem sie von den Häretikern Schutzgelder erpressen.“ Er hob das Kinn. „Die Ansteckung geht stets von den Hirten auf die Herde über, und ein fauler Baum kann nur schlechte Früchte bringen!“
Die Legaten bekamen rote Köpfe.
„Aber Eurer Heiligkeit war doch immer daran gelegen, dass die Bischöfe die Anerkennung ihrer Gleichberechtigung mit den örtlichen Grafen und Vizegrafen erreichen. Cuius regio, eius religio! “, beharrte Gui, und Rainer, ebenfalls stämmig, aber einen Kopf kleiner als Gui, nickte.
Innozenz, den viele Menschen hoffnungsvoll „das Licht der Welt“ nannten, seufzte. Die beiden begriffen nicht, weil sie nicht begreifen wollten!
„Richtig“, sagte er, „ cuius regio, eius religio - wer das Land besitzt, bestimmt über den Glauben! Darauf beruhte Unser Auftrag an Euch. Ihr solltet in den gefährdeten
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