Alix ... : Historischer Roman (German Edition)
zugleich gewaltlosen Weg, der Innozenz sehr gefiel.
11.
Die Burg derer von Saïssac befand sich unweit von Carcassonne, tief in den Schwarzen Bergen. An einen Felsen geschmiegt, und von dunklen Nadelwäldern umgeben, machte die kleine Festung einen sicheren, aber auch recht einsamen Eindruck. Das wehrhafte Dorf mit den Resten einer zweiten, jedoch längst verfallenen Burg, lag ein Stück weiter oben.
Begleitet von Fabrisse und zwei Rittern war Inés ohne Rast von Carcassonne bis hierher geritten. Wie ihre Schwester Alix saß auch sie stets gut zu Pferde. Nun sah sie schon von weitem zwei offenbar energische Personen aus dem Hof laufen: Bertrand und Eleonore von Saïssac.
Bertrand segnete das Mädchen, nachdem es abgestiegen war, machte sich aber noch in derselben Stunde auf den Rückweg nach Carcassonne. Ein anonymer Brief, der besagte, Eleonore, seine Frau, liege im Sterben, hatte ihn nach Hause eilen lassen. Nachdem Saïssac aber seine Frau so gesund und munter wie immer angetroffen hatte, sah er sich nur wieder in seinem Verdacht bestätigt, dass kein anderer als Bischof Bérenger hinter den Intrigen steckte, die das Haus Trencavel mitunter in Unruhe versetzten. Schon einmal hatte der Prälat die Abwesenheit des Vizegrafen genutzt, um seinen Stellvertreter aus der Stadt zu locken.
Und wann soll die Hochzeit stattfinden, Mädchen?“, fragte Eleonore, einen Stickrahmen in der Hand, als sie am Abend vor dem Kaminfeuer saßen - Fabrisse hatte sich bereits in die Dienstbotenkammer zurückgezogen.
„Im Frühling, wenn alles gut geht“, antwortete Inés schüchtern. Einerseits kam ihr der Zwangsaufenthalt in Saïssac wie ein kleiner Aufschub vom ernsten Leben vor, denn sie hatte sich beim Anblick des riesigen Schlosses in Carcassonne ziemlich erschrocken, andererseits wäre sie am liebsten an Raymond-Rogers Seite geblieben. Ja, sie dachte bereits, das kleine Gefühl, das sich in ihrem Herzen regte, wenn sie auch nur an ihn dachte, könnte mehr als nur Zuneigung sein.
„Ich bete zur Schwarzen Jungfrau von den Tischen, dass mein Bräutigam gesund bleibt - und natürlich auch Euer Gemahl, Herrin“, fügte sie rasch hinzu. Dann erhob sie sich, denn sie war müde vom Ritt. Höflich erkundigte sie sich nach dem Zeitpunkt der nächsten Messe.
Eleonore von Saïssac hob die Brauen. „Wenn Ihr zu Gott beten wollt, Inés“, sagte sie ernst und ihre haselnussbraunen Augen blickten warm auf das Mädchen, „so könnt Ihr morgen früh mit mir kommen. In der Kirche zu Saïssac findet ein katharisches Servitium statt.“
Inés hielt entsetzt die Luft an. „Katharer?“, stieß sie hervor. „Seid Ihr am Ende ebenfalls … gehört Ihr zu denen?“
Eleonore lächelte nachsichtig. „Wir sind allesamt Reisende auf dieser Erde, Fremdlinge in unbekannten Gefilden“, antwortete sie leise. „Ja, mein Kind, mein Gatte und ich, die Mägde und Knechte, die Dörfler - wir alle sind katharischen Glaubens. Wir versammeln uns regelmäßig zum Gottesdienst. Kommt doch mit mir, beten kann man auch bei uns.
Jetzt seht mich nicht so erschrocken an! Wir sind gewiss keine Teufel, wenngleich viele Menschen heutzutage leichtfertig den Namen Satans auf ihren Lippen tragen, wenn sie uns meinen. Ihr braucht Euch wirklich nicht zu ängstigen. Das Katharertum basiert auf Nachsicht, Frieden und Freiheit. Wir reden und disputieren gerne mit unseren katholischen Nachbarn und Freunden über unseren Glauben, aber wir verbreiten ihn nicht mit Gewalt.“
„Und … und der Vizegraf? Gehört er auch zu den ... Katharern?“
„Raymond-Roger ist Katholik und wird es wohl bis zu seinem Tode bleiben. Er muss an sein Land denken. Mit einem Übertritt geriete die Grafschaft in Gefahr. Niemand in Carcassonne nimmt es übel, wenn der Vizegraf, seine Ritter und ihre Damen einmal die katholische Messe, ein andermal das katharische Servitium besuchen. Wir lesen beide aus der Heiligen Schrift. Und nun? Habt Ihr es Euch überlegt? Kommt Ihr morgen mit mir?“
Inés wusste nicht wieso, aber sie nickte.
Als sie wenig später am Fenster ihres Gemaches stand und nachdenklich auf die dunklen Wälder hinaussah, hörte sie einen Raubvogel schreien. Ihr schauderte. Wir lesen beide aus der Heiligen Schrift , hatte Eleonore von Saïssac gesagt. Die Welt war auf den Kopf gestellt! Das Recht zur Auslegung der Bibel besaß doch allein die Heilige Mutter Kirche. Weshalb hatte sie das der Burgherrin nicht deutlich gesagt, und - warum hatte die Mutter nur angenommen, dass
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