Alix ... : Historischer Roman (German Edition)
Hochgewachsen, fast einen Kopf größer als ihr Mann Jordan, das länglich-schmale Gesicht eher herb, sprühte sie vor Selbstbewusstsein, Witz und guten Einfällen; und wenn sie lachte, was häufig vorkam, lachte sie nicht verhalten, wie es sich für eine Dame ziemte, sondern laut und schallend, so dass sich jedermann daran ansteckte und gar nicht anders konnte, als mitzutun. Niemand konnte sich ihrer Anziehungskraft entziehen, und sie erinnerte Inés in vielem an Alix.
Etwas an der Wölfin störte die Vizegräfin jedoch beträchtlich, das hing nicht mit der fehlenden Kopfbedeckung zusammen und nur am Rande damit, dass ihr kleiner Sohn tatsächlich aussah wie Ramon von Foix. Auch dass Na Loba beim gemeinsamen Spiel auf der Wiese immer nur bestimmten Männern die schellenbesetzten Bälle zuwarf, was diese dann als Liebeserklärung auffassten, ärgerte Inés nicht, sondern einzig, dass sich die Wölfin als Mann kleidete, und das nicht nur zur Jagd, was man sich ja noch hätte eingehen lassen. Tagein, tagaus trug sie enge schwarze Beinkleider und gleichfarbige kurze Samtwämse, so dass alle ihre langen Stelzen betrachten konnten, die allerdings so ebenmäßig gewachsen waren, wie sie die Natur nur selten hervorbringt.
Dass Na Loba nicht nur Männerkleidung, sondern auch den Mut eines Mannes besaß, hatte sie am Tag der Jagd bewiesen. Durch Schluchten waren sie geritten, durch Bäche, Wald und Feld. Die Bauern wollten einen Wolf aufgespürt haben, was ungewöhnlich war zu dieser Jahreszeit; einer behauptete sogar, ihn mit seiner Lanze angestochen haben. Na Loba hatte dem verletzten Tier nachgestellt und war in ein kleines Wäldchen gestoßen, in dem er angeblich verschwunden war. Lange war sie verschwunden gewesen. Alle hatten sich gesorgt und sie gesucht. Als sie sie gefunden hatten, war sie einsam mitten im Wald auf einem umgestürzten Eichenstamm gesessen, das Pferd am Zügel.
Sie hatte die Spur des Wolfes verloren.
Am sonnigwarmen Pfingstsonntagmorgen - es war zugleich der Tag der Heiligen Sophie und die umliegenden Weinberge standen in voller Blüte - ritten der Vizegraf von Carcassonne, seine Gemahlin, die Cabaret-Ritter mit ihren Frauen, sowie andere Gäste, auf ihren Pferden hinunter ins Tal, um dort die Heilige Messe zu besuchen. Die Dörfler hatten Blumen gestreut und das vizegräfliche Paar beim Eintritt in die Kirche mit einem Lied geehrt.
Wie alle anderen Frauen auch, trug Inés zu diesem Anlass das Haar bedeckt. Dafür erregte ihr neues Gewand beträchtliches Aufsehen. Es war aus zusammengesetzten Rauten verschiedenfarbiger Seide gefertigt, die Nähte mit goldenen Fäden gehalten, die schmalen Ärmel wie das einfarbige Unterkleid, das seitlich hervorblitzte, mit kostbarer Stickarbeit verziert. Jordan von Cabaret hatte sie geradezu mit den Augen verschlungen, als er ihr im Burghof aufs Pferd half.
Nachdem außer den Dörflern niemand fromm die Augen senkte, rutschte auch Inés wenig gesammelt auf der Ehrenbank der kleinen Dorfkirche herum, beobachtete eine Zeitlang aus den Augenwinkeln heraus jede Regung der Wölfin, empörte sich insgeheim darüber, dass die Cabarets zwar die Messe aufsuchten, sich aber dort nicht bekreuzigten. Selbst als der Priester das Agnus Dei, qui tollis peccata mundi betete, trat keiner von ihnen zum Altar, um die Hostie entgegenzunehmen.
Inés seufzte verhalten. Wo sollte das nur hinführen mit diesen Katharern! Pater Nicolas hätte sich das nicht bieten lassen, und schon gar nicht Bischof Fleix.
Raymond hatte ihr erzählt, dass die Cabaret-Ländereien sehr reich seien. Bereits in der Antike wären dort Gold, Silber und andere Erze abgebaut worden. Es fehlte den Rittern offenbar an nichts - außer an katholischer Frömmigkeit! Zwar wusste Inés von Eleonore, dass nur wenige Anhänger der Katharer tatsächlich danach strebten, es den Perfekten gleich zu tun. Dennoch hofften doch auch diese, irgendwann im katharischen Glauben gerettet zu werden!
Immer mehr gewann Inés den Eindruck, als lebten die Ritter von Cabaret nebst ihren Gemahlinnen völlig losgelöst von Sorgen um ihr Seelenheil.
Das große Fest fand im Anschluss an die Messe im Hof der Burg unter einer weit ausladenden Linde statt, deren Äste man, wie bei einem Weinstock, nach allen Seiten horizontal gezogen und an hölzerne Stangen gebunden hatte, so dass sie mit ihren Zweigen und grünen Blättern ein schützendes und kühles Dach gegen die Sonne boten.
Rings um den Baum war im Quadrat eine Tafel aufgebaut. Die
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