Alix ... : Historischer Roman (German Edition)
dort von anderer Lebensart.“
Inés, längst neugierig geworden auf die Frau desjenigen Ritters, der sie fortwährend anschmachtete, hielt ihn am Arm zurück. „So erzähl mir doch mehr über sie!“
Raymond-Roger lachte und zog die Tür noch einmal hinter sich zu. „Nun, ihr kleiner Sohn - aber darüber musst du schweigen bis ins Grab hinein -, er soll Ramon von Foix wie aus dem Gesicht geschnitten sein.“
Inés war entsetzt. „Ein Sohn des Zänkers, der im Kerker zu Urgell sitzt? Er ist ihr Liebhaber? Jetzt verstehe ich, weshalb man ihn hinter vorgehaltener Hand auch ´Ramon den Verliebten` nennt! Und was sagt Jordan von Cabaret zu seiner ... Gemahlin? Er muss ja todunglücklich sein, der arme Mann!“ Endlich begriff Inés, weshalb Jordan so oft ihre Nähe suchte. Der Ärmste war tatsächlich mit einer ungetreuen Gemahlin geschlagen! Sofort fiel ihr die tapfere Penelope ein, die Frau des Odysseus, die das genaue Gegenteil, nämlich ein Vorbild an Treue und Geduld gewesen war. Ihr galt es nachzueifern, wenn man verheiratet war! Ach, wie oft hatten Alix und sie sich die Szene ausgemalt: Penelope, wie sie am Webrahmen saß, die Augen nass vor Kummer, laut seufzte und wie sie beständig am Totentuch für ihren Schwiegervater Laertes webte, das niemals fertig wurde, weil sie in der Nacht auftrennte, was sie des Tags gewebt hatte ...
Raymond-Roger lachte über das betroffene Gesicht seiner Frau. „ Hélas , Jordan ist eine Frohnatur, der tröstet sich, wo er nur kann. Er hat sich damit abgefunden, dass das Bett seiner Wölfin nicht mit schlechten Decken ausgestattet ist und dass einem eine schöne Frau nie allein gehört. Übrigens“, er beugte sich zu ihr hinab, „ich möchte, dass du dein Haar gelöst trägst an Pfingsten, wie jetzt. Kein Schleiertuch, kein Netz, allenfalls ein einfaches Schapel. Sich zu verhüllen ist Sache der Weiber, deren Jugendkraft vertrocknet ist, weil der Winter sie weggenommen hat. Du hingegen bist jung, bist schön. Lass uns auf Cabaret ein Spiel spielen, nur wir beide, ein Spiel um die Druerie , das rechte Minnepfand. Lass mich dich und dein Herz ein zweites Mal erobern!“
„Aber die Cabarets? Was werden sie sagen, wenn du mich vor aller Augen umgarnst?“
„Keine Angst, die Cabarets sind frei in allem. Du wirst auf ihrer Burg auch keinen Priester antreffen - außer bei der Messe in der Pfarrkirche, unten im Tal, da schon.“
„Sie besuchen die Messe? Aber ich denke, sie sind Katharer?“
„Kein ´aber` mehr, meine Schöne“, sagte Raymond aufgekratzt. Er drückte Inés so eng an sich, dass sie am helllichten Tag seine fleischliche Begierde spürte. Und weil er sie erröten sah, verschloss er ihren Mund mit einem langen Kuss.
36.
Ein böiger Wind trieb die tief über Cahors hängenden Wolken vor sich her, als sich der große Maultierzug mit acht Wagen auf den Weg machte, die Stadt zu verlassen. Alix, angetan mit einem Judenschleier, der ihr halbes Gesicht und vor allem ihre Haarstoppeln verbarg, saß auf dem ersten Fuhrwerk, hinter dem Ältesten der jüdischen Gemeinde. Sie hielt Esther Löw im Arm und wiegte sie hin und her.
Der Auszug einer Handvoll jüdischer Familien musste sich in Windeseile in der Stadt herumgesprochen haben, denn wie damals, als Alix an der Seite des Erzbischofs angekommen war, waren die Straßen und Gassen angefüllt mit unzähligen Menschen, die stumm nun von den Juden Abschied nahmen.
Zwei Wagen hinter Alix saß der Novize Martin, den geborgten Judenhut tief in die Stirn gezogen. Weshalb Bischof Sicard plötzlich an Schlechtigkeit den Erzbischof noch übertroffen hatte, würde Martin bis ans Ende seiner Tage ein Rätsel bleiben. Offenbar war Sicards Angst vor seinem Fürsten größer gewesen, als die vor seinem letzten Richter: Die Soldaten, die in der Nacht ausgeschwärmt waren, um Alix und den Novizen zu suchen, hatten Mordechai Löw ohne Erklärung aus dem Bett gezerrt und ihn vor den schwerkranken Bischof geschleppt. Dem war ein „Jud“ als Sündenbock gerade recht gekommen. Rasch war das Urteil gefällt. Die Soldaten brachten Löw auf den Rabenstein, banden ihn ans Holz und flämmten ihn wie ein Schlachtschwein. Dann gossen sie ihm so lange kochenden Speck in die Ohren und die anderen Körperöffnungen, bis er tot war.
Die Juden, die mit Löw innerhalb eines halben Jahres drei ihrer besten Männer durch den Fürsten der Stadt verloren hatten - in einem Fall, weil angeblich Hostien mit Füßen getreten worden waren -, überlegten
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