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Aljoscha der Idiot

Aljoscha der Idiot

Titel: Aljoscha der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Erdmann
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glauben.“
    „Wie saß sie?“
    „Wie sie saß ?“
    „Ja!“
    „Aufrecht wie eine Märtyrerin, wenn du mich fragst. Ich glaube, sie hatte die Beine übereinandergeschlagen, aber ich war nicht in der Verfassung, da auch noch hinzusehen.“
    „Verständlich.“
    „Wenn einmal der Tag kommt, an dem du sie ansprichst, wird das erste Wort – “
    „Ich höre nichts mehr!“ Aljoscha hielt sich die Ohren zu. Für zwei Sekunden.
    „… wird das erste Wort Magie sein. Streicher werden einfallen wie Sonnenstrahlen, und die berauschende Gefahr dieser Sekunden wird – “
    „Pjotr! Willst du Schweigegeld?“
    „… Astralgeister versammeln, und diese Frau wird dich bestärken in dem Gefühl, dich nicht in Unverdientes zu begeben.“
    „Was ist denn in dich gefahren?“
    „Das erste Wort, Aljoscha! Du darfst es nicht leichtsinnig sprechen! Sonst entfesselst du einen Sabbat, und du darfst mal einen Körperteil des Teufels berühren.“
    „Was machst du eigentlich neuerdings in deiner Freizeit? Voodoopuppen pieken?“
    „Ich glaube, daß es kommen wird, das erste Wort.“
    „Ich darf nicht daran denken.“
    „Und wenn sie dich anspricht?“
    „Das wird sie nicht.“
    „Wer weiß?“
    „Dieser als Professor verkleidete Kurier sagte, sie ist bereit, Laute abzuwarten, auf die sie antworten kann.“
    „Hm.“
    „Aber mir scheint, daß jedes Wort tabu ist.“
    „Hm“, machte Pjotr. „Für immer? Warum eigentlich?“
    „Das ist das Merkwürdige am Tabu. Es gibt keine Begründung mehr dafür.“
    „Stimmt. Es zieht seine Macht daraus, daß man es befolgt.“
    „Und es zieht noch mehr Macht daraus, daß jemand es bricht. Sie hat es schon bei der Rembrandt-Vorlesung getan.“
    „Das Tabu gebrochen?“
    „Laute abgewartet und geantwortet.“
    Aljoscha beschrieb die dezenten und doch eindeutigen Resonanzen, mit denen SIE damals seine ebenfalls beinahe unhörbaren Äußerungen des Vergnügens an Warnkinschen Verstiegenheiten erwidert hatte.
    „Wie ein Echo“, meinte Pjotr.
    „Nicht wie ein Echo“, entgegnete Aljoscha. „Wie Echo.“
    Im Leben anderer bin ich eine schwer erfaßbare Bewegung. Es gefällt mir so. Es kann nicht anders sein. Ich weihe meine Nächte damit, an die zu denken, durch deren Areal ich schlich. Und ich sage mir, ich schleiche wieder durch ihr Areal. Ich werde ihnen nah sein, ohne daß sie wissen. Wer mir einmal eine Tür aufhielt, den vergesse ich niemals.
    Ich habe Abschiede für sieben Leben. Sieben Leben für den Abschied.
    Könnte ich sie verstehen lassen, daß ich sie nicht so verlasse, wie andere sie verlassen. Es ist, als ginge man über eine Strahlenbrücke.
    Fort, und doch jederzeit zurück.
    Dann, nach Weihnachten, gelang es Leda und Aljoscha wieder, am Ende eines gemeinsam verbrachten Tages zu finden, daß er schön gewesen sei. Es war noch möglich. Sie konnten noch ohne Untertöne sein, dazu aufgelegt, sich alles warm und leuchtend zu machen, sattelfest im eigenen Zeitlauf, sie konnten noch unangestrengte Stimmen anstimmen, konnten den Duft der Haut kaum erwarten, konnten der Vertrautheit vertrauen. Und dann, hinausgeschrien in die Nacht, das Geliebtwerden der Frau, die vor Lust an ihrer Lust jede Seele jedem Teufel verkauft hätte. Und dann die goldenen Lichter, sanft verlöschend.
    Aber gerade so, als hätte irgend etwas, scharf wie das Schwert eines martialischen Hauptmanns, sein Innerstes blitzsauber in zwei Hälften zerlegt, die voneinander isoliert ihr Eigenleben führten, blieb, wenn er mit Leda glücklich war, in Aljoscha das Gefühl für SIE, die Katzenmenschenfrau, gänzlich unverändert und nicht einmal bedroht. Also wuchs dieses Gefühl für SIE auch nicht wie eine Sumpfblüte aus dem Schlamm von Zwist und Hader andernorts. Aber wie sollte das angehen, derart zweifach zu sein und nicht mit der einen Wahrheit die andere zu tilgen? Unmöglich. Der Satz vom Widerspruch muß auch im Herzen funktionieren. Muß.
    Die Welt ist alles, was eine Falle ist.
    Das alte Jahr verging. Aljoscha zählte zu den Seelen, denen die Silvesternacht ohnehin viel feierlicher scheint als die sieben Tage ältere Nacht, und an diesem Jahreswechsel wollte er allein sein. Ein Radiosender spielte Tschaikowsky, bis die Schneeflocken von der Decke rieselten. Um Mitternacht stand Aljoscha am Fenster, sah zu den Leuchtkugeln hoch und hoffte, daß er alles tat, um das Richtige zu tun.
    Vielleicht gehörte all dies in den großen Plan, der für ihn und Leda vorgesehen war. Am Ende war es immer so

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