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Aljoscha der Idiot

Aljoscha der Idiot

Titel: Aljoscha der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Erdmann
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versinken so leicht war, wüßte Aljoscha in diesem Augenblick, daß er gekommen war, um Katharina Rogowskaja allen Schatten zu entreißen. Daß er das Meer sein mußte, in das diese Flüsse geführt hatten. Daß er die eisige Grabesschönheit schmelzen mußte. Daß er jetzt ein Licht finden mußte, an das SIE glauben konnte jeden Tag, jede Nacht. Daß er jetzt IHR Führer war durch den rotglühenden Schnee vor den rotglühenden Horizonten; daß SIE ihm jetzt folgen mußte aus dieser rotglühenden heidnischen Einsamkeit. Daß er anzukämpfen hatte gegen das Echo des fatalen Fluchs, der es verwehrte, wie ein Mensch zu lieben.
    Mit Engeln auf den Schultern und mit Teufeln, die auf seinen Schuhen saßen, würde er dann von IHR gehen. Und bei Leda würde er Schallplatten und Plattenspieler abstellen und es dem Sechsschüsser Fortunasüberlassen, ob Leda merken würde, daß der Stapel genau fünf Schallplatten enthielt, die nicht ihm gehörten.
    Und Leda würde sagen: „Aber mein Recorder ist doch auch gestört“, und Aljoscha würde sie nicht wissen lassen, daß es keineswegs so war, daß er daran nicht gedacht hatte. Der Tölpel, der sieben Tölpel übertölpelt, ist wie der Schlafwandler, der nicht fallen kann, weil ihm die Möglichkeit des Fallens nicht präsent ist. Und Aljoscha würde, berauscht von seinem Spiel gegen die Revolvertrommel der Möglichkeiten, noch weiter gehen.
    „Ich versuche es trotzdem“, würde er verkünden und das zweite Klavierkonzert von Chopin aus dem Stapel ziehen. Und da Leda noch immer nichts bemerkte, würde sich Aljoscha auf dieser Höhe des Vabanque sogar erlauben, mit boshafter Genugtuung zu registrieren, wie Leda ihm, ohne es zu wissen, noch einen Beweis dafür gab, daß sie mit seiner Welt und ihrem Inventar nicht mehr vertraut war, daß seine Neigungen und Vorlieben ihr gleichgültig waren. Hätte Leda jetzt gesagt: „Ich habe diese Schallplatte noch nie bei dir gesehen…“, wäre mit einem Schlag die Macht zerstört, die Aljoscha in diesem Augenblick verspürte, die Macht, über allen Nuancen zu schweben, die über Wohl und Wehe entscheiden, die Macht, dem ewigen Oszillieren zwischen Zufall und Notwendigkeit enthoben zu sein; und doch würde tief in ihm ein luziferischer Erlösungswille diesen Trümmerschlag erwarten, ihn vielleicht sogar erhoffen, diesen einen Satz, der alles offenbart und alles zum Brennen gebracht hätte. Mit diesem einen Satz hätte Leda, wäre es ihr Wunsch gewesen, Medea werden können. Sie hätte grausigsüße Rache nehmen können, wenn es sie danach verlangt hätte, denn niemals mehr als jetzt, auf den Höhen seiner Anmaßung, wäre Aljoscha vollkommener Vernichtung derart nah gewesen. Aber die 30 Minuten des Konzerts für Klavier und Orchester Nr. 2 würden verstreichen, ohne daß Leda ihn fragte: „Seit wann hast du das?“ Und was Aljoscha in dieser halben Stunde hörte, würde IHRE Stimme sein, die gesagt hatte: ich will kein Morphium mehr, kein bloßes Existieren.
    Und es würde Aljoscha so vorkommen, als wäre er gerade dadurch, daß er sich in äußerste Gefahr begab, vor dieser Gefahr geschützt. Die Aufnahme, die er sich dann anhörte, wäre wie erwartet unbrauchbar, mochte es an Ledas Gerät liegen oder daran, daß es von zwei Seiten her eine technische Unmöglichkeit darstellte, in Ledas vier Wänden die Klänge einer Schallplatte, die Katharina Rogowskaja gehörte,auf ein Magnetband zu übertragen. Aljoscha würde einfach zu seiner grenzenlosen Verblüffung feststellen, daß ihm während dieser ganzen Feuerprobe kein Haar gekrümmt wurde. Wenn die Mächte, die man testet, einen nicht in Stücke reißen – steht man dann nicht unter ihrem Schutz?
    „Dann werde ich eben morgen eine Chopin-Cassette kaufen“, würde Aljoscha sagen, kurz vor Ledas Kuß von schwermütigem Leichtsinn.
    Und am nächsten Morgen würde Aljoscha von Ledas Stimme geweckt:
    „Hast du keinen Mückenstich?“
    „Was?“ – Warum wäre Ledas Stimme denn so weit entfernt?
    „Ich habe sieben Mückenstiche! An den Armen, an den Beinen, überall! Acht! Da, noch einer – neun!“
    Aljoscha würde blinzeln, wissend, daß etwas hier in arge Unordnung geraten war.
    „Das ist unglaublich! Nicht einen ?“ würde Leda sich empören. Aljoscha sähe sich um und hätte Klarheit. Er läge verkehrt herum im Bett, die Füße am Kopfende. Schwarzmagisch verdreht wie ein umgekehrtes Pentagramm.
    „Was ist denn jetzt los?“
    Er würde sich aufrichten, und Leda würde seinen

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