Aljoscha der Idiot
Vogel kreischt?
Leda würde in Aljoschas Augen forschen, nach einer faßbaren Erklärung, nach irgendeinem Sinn ihres Leidens, nach irgendeiner Müdigkeit, nach irgendeiner Spur von Abneigung, die ihn ergriff, wenn er sie ansah;sie fände nichts. Nur ihren Untergang. In seinen Augen würde sie erkennen, daß der Kampf verloren war. Und es wären doch dieselben Augen, aus denen noch Vertrautheit leuchtete. Vertrautheit, kleines Licht, das immer brannte. Wie konnte es denn jetzt verlöschen wollen. Wie konnte es denn sein, daß dieses Licht zu schwach geworden war. Wie konnte es denn sein, daß diese Augen leuchteten in einem Geisterschädel.
Und dieser Geist, er ginge geisterhafte Gänge wie schon eh und je, geradezu von Kindesbeinen an, geisterhafte Dinge denkend und zum Gehen fähig nur aufgrund des sich behauptenden Verlangens danach, daß eine Weissagung von einem Wesen kündet, das gerade dort ja weilt, wo man geisterhaft allein sich wähnte. Das Verlangen danach, heimlich begleitet zu werden durch alle neun Sphären, emporgehoben von Himmel zu Himmel allein durch die Kraft IHRES Blickes. Geführt zu werden von der geheimnisvoll mächtigen Wirkung IHRER Nähe. Wie hatte der Prophet gesprochen: dann wird SIE verschleiert sein. Dann wird der Liebende SIE dennoch erkennen. Dann wird SIE ihn im Paradies empfangen.
Dann also die Zeit, da SIE verschleiert war. Für ganze sieben Tage und dann nochmals sieben Tage bliebe die Katzenmenschenfrau verborgen hinter den Schleiern des Wirklichen. Aljoscha würde nichts mehr sehen und hören von IHR, er würde nicht erfahren, ob seine Karte angekommen war. Sieben Nächte und nochmals sieben Nächte, in denen er nicht wüßte, ob er sich nun rüsten mußte für den Ort, den keiner kennt und niemand findet. Aber 14 Nächte für Petruschka, sich an seinen neuen Zustand zu gewöhnen. An den Zustand, Leben anzunehmen für die Ballerina. Was in ihn gefahren war, hatte ihm einen Körper verliehen, der seine ungeahnte Beweglichkeit verwenden wollte für beschleunigtes Kommen in das Kommende, und er war so außer sich, daß er ganz bei sich war. Seine zu Bruchstücken zersprengte Nacht würde heimgesucht von Worten aus dem Kehlkopf eines Kahlkopfs:
„Was muß ich sehen! Du träumst wohl davon, daß dir diese Frau die Künste ihrer Hand zuteil werden läßt!“
„Nein, Meister! Ich habe mir ein Eichhörnchen vorgestellt, das den Fujiyama erklimmt!“
„Ach was! Setz’ dich sieben Jahre unter den Kirschbaum da!“
Kein Gedanke wäre noch gefeit dagegen, unruhestiftende Vorstellung zu werden, alle Sehnen sehnten sich, Muskeln spannten sich im permanenten Sprungmut. SIE wäre ihm entzogen, doch weil eben SIEdie Ihm-Entzogene war, wäre IHRE Ihm-Entzogenheit das Gegenteil von Ihm-Entzogenheit. Der Mond ließe sein Silber tropfen, SIE wäre bei ihm. Der Himmel würde brechen, SIE wäre bei ihm. Sieben Jahre altes Spinnennetz am Kirschbaum, SIE wäre bei ihm. SIE wäre fort, SIE wäre bei ihm.
SIE wäre fort. Ja ja ja ja ja ja ja. Wie vom Erdboden verschluckt. Um alle Brücken zu verbrennen? Um Isis den Gemahl zu nennen? Um zu alten Gräbern nachts zu schleichen? Um dem Wunsch nach Liebe auszuweichen? Um zu weinen hinter Türen? Um Vergangenes aufzuspüren? Um das Fauchen eines Panthers zu ersticken? Mit blauen Augen über Leopardenblicken? Um zu begreifen, was SIE ist? Um zu fühlen, wie es ist, wenn man vermißt?
SIE wäre fort, um das Universum abzulenken. Und Aljoscha säße so da und würde auf die Antwort warten, die Antwort auf die Frage, warum man Dinge tut, die man nicht versteht. Und Zen-Meister Huang-Po säße auch so da und würde seine Antwort geben: zwei Augen der Liebe in einem Gesicht mit drei Augen. Und dann würden sie zusammen Shanties singen.
Du kannst kommen wie du bist. Du kannst in deinen Stiefeln kommen, Tugendfetzen um die Knöchel. Du kannst kommen wie du willst, in Lumpen oder feinem Leinen. Leinen los. In Seide oder hundertzehn Verkleidungen. Oder kleiderlos. Land ho. Ich bin an den Mast gebunden, Pfeile überall im Leib, bin schon fast hinüber, bitte bleib doch, bleib, wie kann es denn mit einem Blick in deine Welt getan sein? Und der alte Kahlkopf würde singen: Alle Segel setzen, losbinden den Mann! Bringt ihm einen Fetzen, in den er seine Wunden hüllen kann! Holt ihm diese Frau, nach der er ruft! Die für Kolumbus eine Neue Welt erschuf! Alle Mann an Deck, singt für diesen Irren! Steckt die beiden in das Heck und laßt die Gläser klirren,
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