Aljoscha der Idiot
müßte es die Welt retten. Aber ich war mit der Vorstellung geschlagen, daß ich allein Ledas Hingabe kenne! Für die Welt sollte es nur eine falsche Leda geben, eine halbe Leda, eine Pseudo-Leda! Für mich allein die wahre Leda!“
„Was soll ich darauf antworten? Es stimmt, und es stimmt nicht“, sagte Leda.
„Wie auch immer, Schluß damit“, sagte Aljoscha. „Man kann so etwas nicht wollen. Das würde ja heißen, daß man alles für einen anderen sein will, und das kann man keinem zumuten.“
„Aber du verlierst dich doch auch in Dingen, ohne daß Leda dabei ist“, sagte Sonja.
„Reine Notwehr!“
„Wie denn nun? Eben sagtest du doch – “
„Ich sagte, Eifersucht ist dummes Zeug.“
„Vielleicht will ich gar nicht, daß der eifersüchtige Aljoscha mich verläßt“, bemerkte Leda. Aljoscha starrte Leda an, dann Sonja.
„So ist das, wenn die Kutsche auf dem Kopfsteinpflaster rumpelt“, sagte er. „Polterte da eben ein Problem vom Dach, die Damen?“
„Es gibt also eine Schranke“, fuhr Sonja fort, „auch für Liebende, und wie sehr sie sich auch brauchen, sie müssen diese Schranke akzeptieren. Meinst du nicht, daß es ganz heilsam ist, so zu denken? Und überhaupt, welche zwei Menschen müssen denn nicht immerzu voneinander Abschied nehmen.“
„Ich weiß nicht“, sagte Aljoscha. „Bei mir Mattscheibe. Da steht Evidenz gegen Präferenz, was mich betrifft.“
„Verstehe ich nicht.“
„Was ich meinte, war – auch für dich ist Leda, wenn du mit ihr allein bist, die wahre Leda!“
Sonja sah ihre Freundin fragend an. „Leda?“
„Ich höre euch interessiert zu!“
„Hingabe – da gibt es doch verschiedene Arten“, sagte Sonja. „Am Ende dient eine der anderen. Ich wünschte, ich hätte mehr von Ledas Fähigkeit, Strapazen zu ertragen – und zu wissen, wofür. Es gibt hier ein Sprichwort, das heißt: wenn der Mond dich liebt, was kümmern dich die Sterne! Leda kümmert sich um die Sterne, mag sein. Aber ohne dich könnte sie nicht glücklich sein im Glück, und mit dir kann sie nicht unglücklich sein im Unglück. Die wahre Leda ist der Welt nicht unbekannt, natürlich nicht – weil du sie wahr sein läßt!“
„Nein, eben nicht!“ rief Aljoscha.
„O doch“, sagte Leda.
„Weißt du, Aljoscha, unsere kleine Unterhaltung hier, sie wäre früher nicht geschehen. Leda und du zusammen, da war kein Platz für andere. Einen Dritten im Bunde gab es nicht für zehn Minuten. Ihr habt nichts und niemanden mehr wahrgenommen.“
„Ha, ich wünschte, es wäre so gewesen!“
„Aber es war so, Aljoscha! Und es war dein Werk. Leda folgte dir, aber du hast es so gewollt. Du warst ja kein Mensch mehr!“
„Ich war kein Mensch mehr?“
„Dein ganzes Leben hatte nur noch einen Inhalt. Du hast dir eine Religion gemacht aus einem Menschen, und du warst so streng indeinem Glauben, daß es schon nah am Ungesunden war. Wie der fünfte Evangelist.“
„Aber Sonja, verstehst du nicht? Gerade das macht mich erst zum Menschen!“
„Vielleicht. Aber etwas ist anders. Etwas ist verändert. Es mag ja egoistisch sein von mir, aber es ist sehr schön, in eurer Gegenwart nicht nur Statist zu sein. Und was ist eigentlich falsch an Schätzen, die man ganz allein entdeckt?“
„Nichts.“
„Das verstehst du jetzt besser, nicht wahr? Sehr viel besser, glaube ich.“
„Deine Traumdeutung vorhin kam nicht von ungefähr, was?“
„Wir sehen uns nicht oft, Aljoscha. Da bemerkt man die Veränderungen leichter. In diesen Tagen habe ich gespürt – ich weiß nicht, früher war Leda alles für dich. Und alles war Leda für dich. Selbst dieser Zuckertopf hier war Leda.“ Sonja deutete auf den Zuckerstreuer, der vor ihr auf dem rot und weiß karierten Tischtuch stand. Am anderen Ende des Restaurants begann eine Drei-Mann-Kapelle zu spielen.
„Jetzt“, sagte Sonja, „ist dieser Zuckertopf nur noch ein Zuckertopf.“
„Einen Augenblick – “, begann Aljoscha.
„War ich dein Zuckertopf?“ fragte Leda amüsiert.
„Nein! Ja doch!“
Die Kapelle wurde lauter.
War die Verwandlung also schon erkennbar? Henry Jekyll, der mit Identitätswechseln experimentierende Doktor, war der festen Überzeugung, jene Metamorphose, die in ihm den bösen, lasterhaften Mr. Hyde entfesselte, kontrollieren und notfalls aufhalten zu können. Bekanntlich ein Irrtum. Glücklicherweise ist das Leben kein Schauerstück von Robert Louis Stevenson. Möglicherweise ist das Leben ein Schauerstück von – mir,
Weitere Kostenlose Bücher