Aljoscha der Idiot
absoluter Vereinzelung aufgetaucht ist, wird der Mensch neben dir dich fragen: „Was willst du denn Gutes tun?“
„Ich weiß nicht. Aber man muß etwas Gutes tun“, war seine blödsinnige Antwort gewesen, und Leda nahm es achselzuckend hin.
Mit der Kirche war es vermutlich so wie mit dem Zirkus: er lag irgendwie daneben. Aljoschas Mutter hatte die Geschichte oft erzählt, wie sie mit ihm hingegangen war, als der Zirkus in die Stadt kam. Als das Publikum vor Lachen brüllte über die Clowns, die sich gegenseitig Torten ins Gesicht klatschten, bemerkte sie erstaunt, daß ihr kleiner Junge dasaß und heulte. „Aber Kind, warum weinst du denn?“ Und er quakte, das sei schrecklich, was die Clowns da tun, und daß darüber alle lachen. – Aljoscha erinnerte sich nicht mehr an die Clowns. Aber er wußte noch, daß er sich damals in die Kunstreiterin verliebt hatte undseine Mutter noch tagelang fragte, wo die Frau mit dem silberglitzernden Trikot wohnt. Darum war Wehmut wie eine Silberschlange. Wegen eines wehmütigen 5jährigen Jungen.
Irgendein Detail in irgendeiner Kirche, vor langer Zeit gefertigt von einem armen Schlucker, dessen Namen niemand kannte – sehen Augen das nicht mehr, dann waren alle Leben vergebens. Aber die Kirche als Institution ist im Grunde menschliches Versagen vor dem Göttlichen, ein bißchen Bürgerwehr im Unerforschlichen, ein Zusammenschluß gegen die unentzifferbare Wahrheit des Schauerlichen.
Kirchengeschichte also. Todsicher hätten die Linientreuen Aljoscha Aberglauben vorgeworfen. Da traf es sich recht wohl, daß Professor Jelzow seine Vorlesung über die „Altkirche“ nicht mit der Altkirche begann, sondern mit Mysterienreligionen wie dem Mithraskult. Und dem Isiskult.
Und so kam es, daß Aljoscha, fasziniert von Isis, bald schon ausprobierte, wie die Eigentümlichkeiten altägyptischer Schminktechnik auf dem Antlitz einer ungewöhnlich hellhäutigen Maria Magdalena zur Geltung kamen. Mit einem feinen Pinsel zog er am Auge Magdalenas einen dünnen schwarzen Strich vom Schnittpunkt der Wimpernreihen zur Schläfe hin, wie es bei den Frauen im alten Ägypten Mode war. Das Experiment hatte erstaunliche Wirkung. Das Auge schien jetzt angemessener dargestellt; es war auf unerklärliche Weise, kein anderes Wort schien dafür passend, wirklicher. Als hätte er Maria Magdalena vor ihrer Spiegelscherbe ständig davon abgehalten, die Morgentoilette zu beenden.
Du kannst dich ein Leben lang im Spiegel anschauen. Aber du kannst dich nie mit meinen Augen sehen.
Es war Dienstag, der 27. Oktober. Aljoscha ging durch schweren Regen auf das Hauptgebäude der Universität zu. In diesem Hauptgebäude befand sich jener Hörsaal C, der im vergangenen Semester als Veranstaltungsort der Rembrandt-Vorlesung zum Schauplatz undurchsichtiger Ereignisse geworden war, das heißt, vielmehr eigentlich ungeschehener Ereignisse… besser gesagt also, in diesem Hörsaal C hatte sich das Geschehen ungeschehen gemacht. Ungeschehen hatte sich gemacht, zum Henker. Die Vorlesung, der Aljoscha nun entgegenging, war dem Maler Nicolas Poussin gewidmet, und sie fand nicht nur am selben Ort statt wie die Rembrandt-Vorlesung, sondern auch zur selben Zeit. Kurz, dieserGang zu Poussin war eine magische Handlung. Todsicher hätten die Linientreuen Aljoscha Aberglauben vorgeworfen.
The Hunter Gets Captured By The Game ging ihm im Kopf herum, die russische Weise vom Tölpel, der sieben Tölpel übertölpelt, in der Version von Anna Domino, der subtilen Chanteuse. Während er sich also dem Hauptgebäude näherte und voluminöse Wassertropfen von den Zweigen der schon blätterlosen Bäume auf sein Haar fielen, stand im Säulenportal des Hauptgebäudes eine Frau, die ihren Schirm aufspannte. Dann trat sie hinaus in den Regen.
SIE ging, als Aljoscha kam, und sie begegneten sich auf der Allee, IHR schönes bleiches Antlitz unbenetzt vom Dauerregen, während Aljoscha sich den Seh-Weg zu IHR erst bahnen mußte durch all das Naß, leise plätscherte das Wasser und erfüllte den Morgen mit Tristesse. Es ist Pech an meinen Schuhen, dachte er, und der Gedanke war verständlich, denn seriöse Wissenschaft, also das Prinzip vollkommener Vermessenheit, hätte ans Licht gebracht, daß erst IHR Fortgehen, während er kam, die wahre Ursache für die Tristesse des Morgens war. Nach exakter Messung würde man sogar behaupten können, daß besagte Tristesse gar nicht die des Morgens war, sondern Aljoschas. Ich darf sagen, Gentlemen,
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