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Aljoscha der Idiot

Aljoscha der Idiot

Titel: Aljoscha der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Erdmann
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Turm ist wie ein Kerker, und in einem Kerker ist nichts so laut wie das erste leise Bröckeln.“
    „Immerhin“, sagte Pjotr. „Wenigstens ein Freund, der mir beisteht mit einer Weltsicht, die irgendwie drei Tage älter ist als meine.“
    Aljoscha wünschte, er hätte die drei Tage Leben, die er Pjotr voraus hatte, besser zu nutzen gewußt. Dante begegnete Beatrice, sobald Aljoscha die Florentinische Wand seines Zimmers betrachtete. Wehe dem, der Symbole sieht, sagte Beckett. Aber noch mehr wehe dem, der sie nicht sieht.
    Folgen können sich verspäten, das kann jeder im eigenen Protokoll nachschauen. Aber können Folgen sich verfrühen ? So sehr, daß sie ihre eigenen Ursachen bedingen? Sobald man sich die Zeit nicht mehr als linearen Ablauf vorstellte, konnten die Gründe für die Gegenwart auch aus der Zukunft stammen. Aus einer Zukunft freilich, die man ebenso gut „Vergangenheit“ nennen konnte, es war ganz einerlei… die Frage, wo all das herkam, war dann nicht nur ebenso bedeutend wie die Frage, wo all das hinführte, sie war vielleicht mit ihr identisch. Das kleine Problem war nur, sich die Zeit nicht als linearen Ablauf vorzustellen.
    Aber je länger er darüber nachdachte, um so klarer sah Aljoscha: da ist etwas, das sein soll. Etwas, das einzig und allein von ihm, Aljoscha Tuschkin, verlangte, seiend gemacht zu werden. Etwas, das ihn zur rechten Zeit am rechten Ort in ein weißes Gewand hüllte. Etwas, das ein Buch mit dem Titel Metamorphosen gewählt hatte, um sich mitzuteilen – vielleicht, weil Katzenmenschen sich auf Wandlungen verstehen. Etwas, das mit den Worten einer ägyptischen Göttin zu ihm gesprochen hatte – vielleicht, weil man in Ägypten auch eine Göttin in Katzengestalt kannte. Etwas, das eingegriffen hatte, um seinem Zögern und seinem Unglauben entgegenzuwirken, um ihn bekennend zu machen wie Lucius. Etwas, das all dies tat, weil es auf ihn wartete.
    Als Aljoscha sich wusch, dabei mehrmals Wasser in das Gefäß seiner Hände rinnen ließ, um das Gesicht darin einzutauchen, achtete er darauf, dies nicht siebenmal zu tun. Vielleicht war das übertrieben. Vielleicht war er ein Esel.
    Aljoscha lief zu Leda; ihr Großvater saß auf der Veranda und sagte: „Sie ist da, aber auch nicht da.“ Keine zwei Minuten, und er würde diesen Satz verstehen, das las er in den Augen des Alten. Leda erschien, und es blieben ihr noch fünf Schritte, um Aljoscha nicht zu übergehen. Sie überging ihn. Als er Leda die weiße Marmortreppe hinabsteigen sah, verstand er, daß das Unnötige nötig ist, um das Nötige zu erkennen. Er warf sich die Treppe hinunter, und während er fiel, wurde er sehr zornig; unten angekommen, erhob er sich zwischen Legionen von Spielern, die mit Bällen warfen. Er klopfte sich den Staub aus den Kleidern. Er stand in einer runden Arena. Es gab keine Zuschauerränge, nicht einmal Zuschauer, nur Spieler.
    Zuerst schien es, als ob jeder Spieler den Ball, den er gerade gefangen hatte, wieder ins Getümmel warf, ohne auf einen bestimmten Fänger zu vertrauen. Einige Spieler standen einfach da und warteten, manche hielten Schwätzchen, die meisten aber liefen; überall Beschleunigung, Feuereifer, Spurts, Rasanz, aber auch Überstürzung, Raserei und Mißgriffe: ein verwirrendes Muster plötzlicher Aktivitäten. Wohl hundert Bälle flogen durch das Rund. Ein amüsantes Spiel. Und eine Gelegenheit, Leda zur Rede zu stellen.
    Während er lief, Bälle auffing und warf, versuchte er, Leda in dem Gewirr ausfindig zu machen. Im Eifer des Gefechts war er bis an den Rand der Arena gelangt, und er sah einen Ball kommen, der mit Sicherheit jenseits der Mauer landen würde. Da aber riß die Mauer auf, die beiden flexiblenEnden bogen sich, und an der Bruchstelle entstand ein Korridor, der direkt unterhalb der Fluglinie des Balls verlief; Aljoscha lief in die Schneise, gerade so schnell, wie sich jetzt die Mauern links und rechts von ihm verlängerten. Der Ball flog immer weiter, Aljoscha lief immer weiter, dann fielen beide in den Sand, zuerst der Ball und dann Aljoscha. Und plötzlich warf sich eine Frau zu Boden neben ihm. In der Ferne war das Getriebe des unbegreiflichen Ballspiels zu sehen. Aber es war still, so still.
    „Da ist ja der Ball“, sagte die Frau schließlich.
    „Wir müssen ihn zurück ins Spiel bringen“, sagte Aljoscha.
    „Ja. Aber noch nicht gleich.“ – Die Frau machte eine sonderbare Bewegung mit dem Kopf, ein nicht ausgesprochenes Wort betonend. Ihre Augen

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