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Aljoscha der Idiot

Aljoscha der Idiot

Titel: Aljoscha der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Erdmann
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seinem Herzen mit Abzählreimen aufräumte. Er stürzte auf die Straße, lief sie ab, lief bis zur nächsten Metrostation und auf den Bahnsteig, aber er fand die Frau nicht mehr.
    In der folgenden Nacht suchte er das Anmeldungsformular, auf dem sie ihre Personalien eingetragen hatte, und nahm es an sich. Er hatte ihren Namen, ihre Adresse und nichts mehr zu verlieren. Sie hieß Valeria.
    Das Wort Liebe schrieb er nicht auf seine Briefbögen, aber jede Frau, die nicht mit Herzensblindheit geschlagen war, hätte zwischen den Zeilen lesen können. Nicht, daß Aljoscha mit einer Antwort rechnete; er gab die ohnehin schwache Hoffnung darauf schon nach drei Tagenauf. Vielleicht lag ihm nicht einmal an einer Antwort; jedenfalls hatte er endlich etwas getan, in dem er sich wiedererkannte. Jedoch sagte sich Aljoscha, wenn er in der Rezeption saß und das Treiben im Foyer beobachtete, mit Schalimowscher Melancholie: all das ist so nichtig… die Menschen und was mit ihnen geschieht, all das ist so belanglos…
    Dann kam Valerias Brief. Sechs Seiten lang. Das Wort Liebe hatte Valeria nicht auf ihre Briefbögen geschrieben, doch Aljoscha war entschlossen, es zwischen den Zeilen zu finden. Er konnte gerettet werden! Er war verloren.
    Valeria war das letzte Geschöpf, in das er Hoffnung setzte. Er begann, eine brillante, eine goldene, eine herrliche Stadt auf ihrem Namen zu errichten: die Stadt, die seine Zuflucht war. Einen Monat nach der Begegnung mit Valeria fuhr er in das Städtchen, das sie auf dem Formular als ihren Wohnort angegeben hatte. Als er ankam, schlief das Städtchen noch und vielleicht schlief es immerzu, denn es war schon Nachmittag. Als es endlich aufwachte, sagte es ihm, daß Valeria hier nur ihren Vater besucht hatte und schon wieder abgereist war. Ihr tatsächliches Zuhause lag hinter den sieben Bergen. Sie wohnte auf der unauffindbaren Seite der Erdkugel. Nimmt man die Entfernung von St. Petersburg bis nach Kamtschatka, hat man das Ausmaß des Dilemmas vor sich.
    Wie versteinert verließ Aljoscha den Ort mit dem nächstbesten Zug. Der nächstbeste Zug führte ihn aus keinem besonderen Grund nach Straßburg. Drei Tage lang hielt er sich versteckt im Schatten des mächtigen Münsters, dann war sein Widerstand gebrochen. Er betrat die Kathedrale, sank auf eine Bank und kannte den nicht, der ihn gesandt hatte. Sein Blick fixierte einen Punkt über dem Altar: ein blaues Feld in einem Buntglasfenster. Es war ihm plötzlich nicht mehr möglich, den Blick abzuwenden, diesem Blau zu entgehen, es breitete sich über ihn, die gewaltige Architektur verschwand, er trieb umher im Blau, einsam und verloren und vergeblich, so wie Valeria vergeblich war, so wie alles hoffnungslos vergeblich war.
    Sein Boot, es war zerschellt, und er hielt sich auf einer jämmerlichen Planke. Die Sterne, seine letzten Weggenossen, riefen schon verblaßt Geglaubtes wieder wach, und manche Nacht bereute er, der Hafengöttin nicht Lebwohl gesagt zu haben. Bei Tage jedoch, wenn nicht ruhige See ihn trug, wenn die Wellen sich bedrohlich türmten, um ihn von seinem gotterbärmlichen Stück Holz zu reißen, wenn er sich mit letzter Kraftdagegen wehrte, hinabzusinken zu den Seepferdchen und Kraken, dann verfluchte er die Frau, die zugelassen hatte, daß es so weit kommen mußte.
    Aber er wußte, daß es an seinem Unglück mitnichten die Erleichterung eines daran Schuldigen gab; vielmehr begann er, an ein Verhängnis zu glauben, das nur am heftigsten die traf, die am verzweifeltsten suchen, denn es war der Fluch, niemals zu finden, der Fluch, allein zu leben und allein zu sterben.
    Und dann erfand Aljoscha sein rettendes Gestade, kam an als Treibgut, ging an Land mit der Zähigkeit der Staubgeborenen, die wahllos weitermachen im anonymen All. Er sah sein Königreich kommen. Mit jedem Vollmond sah er die brillante Stadt in verlockenderem Glanz; immer besessener schmiedete er den Plan, die Traumfahrt dorthin zu verwirklichen. Sich etwas vorstellen heißt, etwas vor sich stellen, und der Vorstellung nachstellen heißt, etwas hinter sich bringen. Vorstellung ist der Scout des Realen. Kosmonaut im Könntesein. Vorstellung ist Anfang allen Fortschritts und Ende allen Seelenfriedens. Aljoscha hatte etwas vor sich gestellt, das größer war als er.
    Er trat sie an, die lange Reise in die Realität. Und als er sein Ziel erreicht hatte, die reale Stadt, in der die reale Valeria wohnte, begriff er mit dem ersten Schritt auf ihrem mißgünstigen Boden, daß seine

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