Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aljoscha der Idiot

Aljoscha der Idiot

Titel: Aljoscha der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Erdmann
Vom Netzwerk:
immer weniger geneigt, sich hinhalten zu lassen, trieb es dann in fremde Arme, die ihrvielleicht weniger bedeuteten, als Aljoscha glaubte; Aljoscha wiederum sah alle fremden Arme als Wegweiser für seine Fluchten.
    Daß ein Fremdenführer eine Fremde verführt hatte, die ihm, Aljoscha, vertraut war wie sonst niemand, hatte dort, wo es geschehen war, rein nichts mit ihm zu tun. Und doch war er so verstrickt in all die Umstände, die zu diesem Ereignis geführt hatten, daß er meinte, es miterlebt zu haben.
    Ein Winter kam aus endloser Düsternis. Aljoscha verdingte sich als Gehilfe in einem drittklassigen Hotel. Irina, das Küchenmädchen, saß bei ihm, wenn es beider Zeit erlaubte. Einem anderen versprochen, kniete sie sich mit Aljoscha in ein kurzes, verzweifeltes Glück, bevor das Fällige sie beide überrollte. Leda sah er selten. Wozu noch? Er war abgestempelt als gleichgültiger Immoralist und gab sich keine Mühe mehr, diesem Ruf zu widersprechen. Er ließ sich stempeln und zu den Akten legen: geboren, um zu enttäuschen.
    Die erste Strophe einer Tragödie zu dichten, war fern von Irina und Aljoscha; er war einfach ein Freund, den sie manchmal küßte, vielleicht, weil sie selbst nicht wußte, warum sie ihm so viel von sich erzählte. Irinas Bewerber erfuhr vom kurzen Vagabundenleben seiner Liebsten nichts. Sie hatte Zank und Vorwurf nicht verdient. Sie hatte Besseres verdient in jeder Hinsicht; Besseres auch als einen Aljoscha, der wußte, daß auf ihn das Nichts wartete, und fürchtete, daß Irina auf ein anderes Nichts zuging. Eines Tages gingen sie dann einfach ihren Weg.
    Keine Zeitmaschine war in Sicht und kein Epochenhehler. Die Realität sah aus wie hingemalt von jenem Schüler Michelangelos, zu dem der Meister sagte: „Warum wirst du nicht Schmied, mein Junge?“ – Aljoscha spuckte aus. Ein Sommer kam aus endloser Düsternis. Aljoscha hörte von Sonja, daß Leda in den Ferien wiederum weit fort gewesen war, sehr weit fort von ihm… Sonja glaubte wie alle Welt, daß es Aljoscha, dem Freigeist, der jedem das Seine gönnte, nichts ausmachte. Er spuckte nochmals aus.
    Er saß in Spelunken herum und machte sein Blut schwer mit Wein, er wankte blaß von Pontius zu Pilatus auf der Suche nach einem, nur einem, irgendeinem, und doch benahm er sich, erzählte man, wie Rotz am Ärmel. „Ich glaube“, sagte Leda damals zu Sonja, „Aljoscha hat gar kein Interesse mehr an so etwas wie Liebe“, dabei hatte er noch nie im Leben an etwas anderem Interesse gehabt, doch er lachte das grausamste Lachen, weil die Liebe in der Gosse lag, und weil er es nicht ertragenkonnte, sie dort zu sehen. Er hatte von der einen und einzigen Schönheit geträumt, er hatte mit der Fügung ringen wollen um eine solche Liebe – verkorkst! Er träumte von Laster und Wollust und war heilig und ausgestoßen wie ein Opfermädchen.
    Als Aljoscha buchstäblich alles negiert und zerschlagen und sein Seelenleben gänzlich heruntergewirtschaftet hatte, geschah etwas, das Loskauf von der Pein verhieß. Es begann damit, daß Aljoscha im düsteren Hotel eines Nachts einen herumliegenden Ersatzschlüssel versehentlich ans Brett gehängt und später als Schlüssel für ein freies Zimmer ausgehändigt hatte, was zur Folge hatte, daß zwei junge Damen an der Rezeption erschienen, die soeben bemerkt hatten, daß sie die Nacht auf demselben Laken verbringen sollten. Die Sache erhielt ihre komplizierte Note dadurch, daß zu diesem Zeitpunkt das Etablissement ein ausgebuchtes war. Während die eine Dame, eine Finnin, vermutlich einen Regen finnischer Schimpfworte auf ihn niedergehen ließ, erklärte sich die andere, die später angekommen war, mit amüsiertem Gleichmut damit einverstanden, in einem Hinterzimmer zu nächtigen. Aljoscha richtete ihr ein Bett her, was alles in allem, nebst einem Gedankenaustausch über das Leben eines Nachtportiers, kaum länger als eine halbe Stunde dauerte; danach ging Aljoscha in die Rezeption zurück. Die junge Frau hatte mit leichtem Akzent gesprochen und sich mit einem sonderbaren Lächeln von ihm verabschiedet. Aber Nacht war um den Nachtportier.
    Erst am nächsten Morgen, als die Frau ihm noch einmal zuwinkte, bevor sie mit ihrem Koffer das Haus verließ, hatte Aljoscha das Gefühl, als lösten sich von ihm, der uralten Mumie, langsam die Bandagen ab. Er ging auf sein Zimmer, wusch sich das Gesicht und betrachtete es im Spiegel: zweidimensional, bewußtseinslos. Dabei war es das Gesicht eines Mannes, der in

Weitere Kostenlose Bücher