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Aljoscha der Idiot

Aljoscha der Idiot

Titel: Aljoscha der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Erdmann
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folgte,sah ebenfalls versonnen auf den Kugelschreiber in seiner Hand – „Ich glaube“, sagte Aljoscha, „ich bin verliebt.“
    Er wußte selbst nicht genau, warum er nicht tot umfiel. Es war ungeheuerlich. Wie ein glatter schwarzer Monolith aus unbekanntem Material und von unbekannter Herkunft stand es im Raum, glänzend und unbegreiflich. Zum Weinen schön. Und zugleich dunkel wie ein Tabubruch, zerstörerisch, schneidender als Diamant. Nur eine Schrecksekunde, und Aljoscha bat im Stillen schon um Vergebung wegen dieses Satzes, der sich in sein Weltbild ritzte wie die Signatur des Satans in die Rinde des Paradiesbaums. Das Unaussprechliche war ausgesprochen, und Oleg, mit seinem untrüglichen Sinn für Relationen, mit ehrlichem Mitgefühl im Blick und dem Tonfall eines Armageddon-Livereporters, sagte: „Oh je. Oh je.“
    Wenig später saß Aljoscha im Hörsaal C là-bas (tief unten) in seiner eigenen Welt, auf seinem alten Rembrandt-Platz, damit beschäftigt, seine Nerven zusammenzuhalten. Er hatte denselben Erfolg wie ein Papierschlangenverkäufer bei Wirbelsturm. Im Auge des Sturms, im ruhigen Zentrum des Ereignisses, saß SIE – zum zweiten Mal den Platz besetzend, auf dem einst er gesessen hatte. Kein Zweifel: jetzt gehörte IHR der Platz.
    Professor Jerdzny begann sein Referat über ein Gemälde des Nicolas Poussin, das Narziß und Echo hieß. Aus dem Vortrag notierte sich Aljoscha irgendwann die Wendung: „Der vergebliche Blickkontakt zwischen Narziß und Echo“ – er stutzte. Hatte Jerdzny das gesagt? Oder hatte er gesagt, daß Narziß und Echo vergeblich versuchten, Blickkontakt herzustellen? Immerhin ein Unterschied. Ein bedeutender sogar. Wie sagt Majakowski in Ich selbst: „Das Interesse an Kunst ist ganz futsch.“ – Jerdzny hatte inzwischen die Metamorphosen des Ovid aufgeschlagen und las nun daraus vor, wie der Nymphe Echo die Macht über ihre Stimme genommen wird von der Göttin Juno:
    Immerhin kann Echo die Laute am Ende einer Rede wiederholen und Worte erwidern, die sie gehört hat. Kaum hat sie also Narcissus erblickt, der abseits vom Wege durchs Gelände streifte, entbrannte ihr Herz in Liebe. Sie folgt verstohlen seinen Spuren, und je länger sie ihm folgt, desto mehr läßt seine Nähe sie erglühen…
    Auch du, mein Jerdzny? Auch du berufen, Botschaften zu bringen im Auftrag der okkulten Macht? Sie folgt verstohlen seinen Spuren, sagst du?Dann sieh hinauf und sage mir, was SIE da tut? Lächerlich zu glauben, daß SIE die Stühle abgezählt hat! Also folgt SIE Spuren ? Du willst sagen, ich habe diesen Platz da oben psychoenergetisch aufgeladen mit meinem konzentrierten Auf-SIE-Hoffen, und diese Sehnsuchts-Emissionen sind wahrnehmbare Spuren für die Katzenfrau? Das ist so simpel, daß es brillant ist, aber sag mir, was es heißt, mein Jerdzny, daß SIE so akkurat auf diesen Spuren wandelt und jenen Platz aus Hunderten sich wählt, den vordem ich zum Sitze mir erkor? Und erkläre mir, du Postillion: ist nur mein Platz jetzt okkupiert oder auch mein Wille?
    O wie oft wollte sie ihm mit liebevollen Worten nahen und ihn durch Bitten erweichen… ihr Wesen verbietet’s. Es erlaubt ihr nicht, den Anfang zu machen.
    Aljoscha wandte sich um und sah hinauf zu IHR. SIE hüllte sich in Puppenstarre.
    Doch eines steht ihr frei: Sie ist bereit, Laute abzuwarten, auf die sie antworten kann.
    Das ist gute Kunde, Jerdzny. Aber hast du sie geprüft bei Vollmond und bei Neumond? Hast du das umgekehrte Pentagramm gezeichnet als IHR Bote? Oder ist, was du mir bringst, ein abgeschmackter Witz aus eines Plunderkopfes Hirn?
    Zufällig hatte der Knabe, vom treuen Gefolge entfernt, gerufen: „Ist jemand hier?“, und „hier“ hatte Echo erwidert. Er staunt, läßt den Blick überallhin schweifen und ruft mit lauter Stimme: „Komm!“ Sie ruft ihn, wie er sie ruft. Er blickt zurück und spricht, da wieder niemand kommt: „Was fliehst du vor mir?“ Und ebenso viele Worte, wie er gesprochen hatte, erhielt er zurück. Er beharrt; getäuscht durch den Widerhall der antwortenden Stimme, spricht er: „Laß uns hier zusammenkommen“, und keinen Laut gab es, auf den sie jemals lieber geantwortet hätte. „Zusammenkommen“, wiederholt Echo, vertraut auf ihre eigenen Worte, verläßt den Wald.
    Doch Narziß und Echo kommen nicht zusammen. Narziß weicht, weil er ja Narziß ist, der schönen Nymphe aus, und sie verbirgt sich gramerfüllt in einsamen Felshöhlen. Ihre Liebe wird noch heftiger aus Schmerz

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