Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aljoscha der Idiot

Aljoscha der Idiot

Titel: Aljoscha der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Erdmann
Vom Netzwerk:
über das Erlittene, und sie vergeht bis auf die Knochen, ihr Gebein wird Stein, nur ihre Stimme bleibt.
    Aljoscha ließ die sich verzehrende Nymphe, kehrte ans Tageslicht zurück, ging aus dem Hörsaal wie aus einem Tempel, wußte kaum noch, wohin sehen, wohin denken, wohin gehen. Zwei endlose Stunden folgten, und verflucht war die Zeit, verflucht waren alle Minuten ohne SIE, dieseInterferenzen des Profanen, diese Tribute an rein gar nichts. Aljoscha trieb ziellos herum, und seine Gedanken fuhren Karussell… IHR Wesen erlaubt IHR nicht, den Anfang zu machen… doch SIE ist bereit, Laute abzuwarten, auf die SIE antworten kann… und SIE folgt seinen Spuren… außerhalb des feindlichen Zufalls… Passivität in ihrer höchsten Erscheinungsform…
    Endlich die letzte Vorlesung, Aljoscha saß sie ab wie hinter Gittern, dann schlug die Stunde im Damtorsk-Bahnhof. Aljoscha trank noch einen Schluck aus dem Fluß Lethe, damit er die Erinnerung an das Irdische ganz verlor, und machte sich auf den Weg.
    Er stand auf dem Bahnsteig und sah SIE kommen, die Bleiche, der eine Kapazität wie Professor Pfropfnapf vermutlich eine ordentliche Transfusion und ein paar Tage Ruhe verordnet hätte, die aber auf Aljoscha wirkte, als hätte SIE von Aderlaß und Transfusion sehr unorthodoxe Vorstellungen, sehr unorthodoxe – SIE kam näher und näher und – ging an ihm vorbei.
    Was war denn? Jetzt ignorierte SIE ihn vollends! Welch Verbrechen hatte er begangen, daß SIE ihn so strafte? Aljoscha trat gegen die Betonmauer. Er kam nach Hause und trat gegen das Mobiliar. Merde pour moi! Merde pour moi! Merde pour moi! Merde pour moi! Merde pour moi! Merde pour moi! Merde pour moi!
    Der Mond lief bläulich an, und Aljoscha begriff, daß er dieses Gefühl noch nie zuvor erlebt hatte – sich so erbarmungswürdig nach einem Menschen zu sehnen. Und jetzt? Kein Wort mehr öffnet Sesam, das Labyrinth hat dichtgemacht, einer Katze Böses tun – sieben Jahre Unglück. Aber was hatte er getan?
    Vielleicht das Echo vor dem Klang gewollt.
    Worte, Worte, mit denen er den Nagel auf den Kopf treffen oder sich den Nagel in den Kopf hauen konnte, und die doch nichts mehr änderten.
    Noch in dieser Nacht machte Aljoscha mit ihr Schluß. Hatte Pjotr auch orakelt: „Du weißt wohl, daß du Maria Magdalena nie vollendest? Das wäre ja noch schöner!“ – jetzt war es soweit. Er tat den letzten Pinselstrich. Was bedeutet die Sieben? Vor sieben Monaten war SIE erschienen. Sieben Monde schienen. Sieben Wasserschalen im Hause des Pilatus. Der Gekreuzigte war Maria Magdalena erschienen, ihr, die mehr von Jesus wußte als alle seine Jünger. Und der erfaßte Unfaßbare sprach zu Maria Magdalena: Du sollst mich nicht berühren. Nicht mit deiner Hand, die zehntausend Sterne entflammt. Aljoscha würde seine Maria Magdalenanicht mehr berühren. War sie vollendet? Für die Griechen war das Schöne, was den Abgrund schließen konnte zwischen Wirklichkeit und Ideal. Das Schöne vollenden? Das wäre ja noch schöner. Maria Magdalena war nicht vollendet, doch es gab sieben gute Gründe, am Ende zu sein. Welcher Abgrund schloß sich für Pygmalion, als Aphrodite der Frauenstatue, die er geschaffen und zu lieben begonnen hatte, Leben einhauchte? Und welcher Abgrund tat sich auf? Du sollst mich nicht berühren. SIE ist anders, unvorstellbar anders… und es darf mich nicht berühren.
    DER ALTE MANN. Was war das eben für ein Fauchen, junger Mann? Hörte sich an wie eine Raubkatze… wenngleich sehr weiblich. Hast du es auch gehört, mein Sohn?
    DER JUNGE MANN. Nein. Ich suche das Schwimmbecken.
    DER ALTE MANN. Wohlgetan, wohlgetan!
    DER JUNGE MANN. Aber wo finde ich es?
    DER ALTE MANN. Das fragst du mich ? Siehst du nicht, daß ich fast blind bin?
    DER JUNGE MANN. Aber Sie haben mich eben einen jungen Mann genannt, aus einiger Entfernung!
    DER ALTE MANN. Dazu muß ich dich nicht sehen. Verglichen mit mir ist ein junger Mann, wer keine Frau ist. Hm, das habe ich nett gesagt, oder? Auf ein hübsches Sprüchlein verstehe ich mich noch immer. Kleine Gelegenheitsarbeiten hier und da. Mit den Auftragswerken ist es ja nun nichts mehr.
    DER JUNGE MANN. Und wer sind Sie überhaupt, wenn ich fragen darf?
    DER ALTE MANN. Der alte Matthäus bin ich.
    DER JUNGE MANN. Welcher alte Matthäus?
    DER ALTE MANN. Na, der alte Matthäus. Matthäus der Evangelist! Was dachtest du? Matthäus der Pennbruder? Matthäus der Eckensteher? Auch Sokrates war ein Nichtseßhafter, verheiratet oder nicht!

Weitere Kostenlose Bücher