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Aljoscha der Idiot

Aljoscha der Idiot

Titel: Aljoscha der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Erdmann
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Ablauf, der wie die Kutsche Draculas sein Ziel von selbst fand. Was er auch entwarf – es führte in Verblendung oder endete in Schuld. Machten Shelleys Worte ihn schon schuldig? All die Ströme von Zeichen, all die abgeänderten Gesetze, all die bedeutungsvollen Linien, erteilten sie nicht Absolution?
    Nein.
    Jeder trägt sein Kreuz, und jeder trägt das Kreuz, ein Kreuz zu sein: vier Unendlichkeiten und ihr Schnittpunkt. Kreuz zu sein den 4 x 98 Seinsströmen, die durch jede Minute pulsieren, dem weicht niemandaus. Aber wohin das Kreuz getragen wird, das eben ist der Punkt. Auf den das Schicksal hämmert.
    Baby laß das Schicksal
    Nägel schlagen in dein Selbst
    Tja, übrigens, das Selbst. Erstaunlich, wie das Selbst ist, was es nicht ist, weil es nicht ist, was es ist. Erstaunlich, wie er sich langsam aus der Vorstellung schlich, die Leda von ihm hatte. Erstaunlich, wie er diese Vorstellung von ihm in ihrem Leben noch immer leben konnte. Erstaunlich, wie man sein eigener Doppelgänger sein kann. Erstaunlich, wie man tatsächlich nur vom Hörensagen bekannt sein kann.
    Wußte irgend jemand irgendwas tatsächlich ?
    Wußte irgend jemand, wer er war?
    SIE?
    Den dritten Kopf nannte Pjotr Der Tod. Der Knochenmann fiedelt nicht, wie etwa Böcklin meinte. Er spielt Mundharmonika. Wie in „The Carny“ von Nick Cave. Die Mundharmonika gleicht verblüffend dem erstarrten Grinsen von Gevatter Schnitter. Jeder spielt das Lied vom Tod. Der Tod lebt mit, von Anfang an. Die Anstrengungen, ihm aus dem Weg zu gehen, sind so nutzlos wie beträchtlich. Jenseits? Auferstehung? Der Tod lacht viereckig. Jeder Sensenmann amüsiert sich mit seinem lebenden Pendant, immer im Hintergrund, ganz diskret. Wir sind seine menschliche Seite. Tod ist die Rückseite der Rückseite. Nicht zu erreichen, aber konstitutiv. Wer sich mit seinem dunklen Begleiter in Verbindung setzt, versinkt plötzlich im Ticken der Wanduhr, im Klang gegebener Zeit. Unter gewissen Voraussetzungen setzt Freund Hein die Zwiesprache fort. Rauschen aller Art. Verfremdete Stimmen bei gestörten Übertragungen aus dem Radio. Glöckchen. Summen eingeschlossener Insekten. Plötzliche Lücken in Geräusch und Klang. So schärft er das Empfinden für die tiefe Gegenwart des Augenblicks, für die Pflicht, mit jeder Minute entweder Frieden zu machen oder mit jeder Minute Krieg zu führen. Das Leben duldet keinen Aufschub. Vor allen ins Später verlegten Hoffnungen blitzt die Sense auf, allzeit mähend, wo Nichtsahnen trügt. Der Schwarze! Er macht die größte Angst. Er gibt den größten Mut. Er sagt: wir spielen um deine Träume, du und ich. Er sagt: geh es machen oder geh verloren. Haben wir ihn einmal standfest gegrüßt, ist das zweite Mal nur noch pro forma. Und dazwischen liegt der Effekt seiner Großzügigkeit, das Leben.
    Man stirbt auch im Leben. Und sollte es damit einsetzen, daß der Fels, von dem es hieß, er würde niemals bröckeln, als Geröll unter den Füßen wegrutscht, dann half keine Akrobatik mehr.
    Was immer es war, es ging auf Mitternacht zu. Aljoscha saß am Bahnsteig 14 auf einem Gepäckwagen und sah in die Richtung, aus der die Lokomotive kommen mußte. Er sah, wie sich die beiden Silberlinien verloren in einem Korridor aus Nacht. Der irgendwo überging in den Fluß der Milchstraße. Wohin die entfesselten Dienerinnen des Dionysos den Kopf des Orpheus schleuderten.
    SOMETHING’S GOTTEN HOLD OF MY HEART
    Weil er von ihnen nichts wissen wollte, hatten die Mänaden Orpheus zerrissen.
    KEEPING MY SOUL AND MY SENSES APART
    In Aljoschas Walkman hatte dieses Stück begonnen, dieser Song, dieses 3-Minuten-45-Opus in epischer Breite, das seit Wochen alle Gründe in Abgründe stürzte, alles Sinnen und Sehnen begleitete, sein Treiben im Äther der süßen Melancholie,
    SOMETHING’S GOTTEN HOLD OF MY HAND
    sein langsames Entschwinden, seinen Tod im Leben.
    DRAGGING MY SOUL TO A BEAUTIFUL LAND
    Es war ein Lied voll hoffnungsloser Hoffnung, wie der Gesang von Matrosen nach der Seelenmesse, TURNING ME UP AND TURNING ME DOWN es ließ ein Licht aufgehen an dunklen Gestaden und verband alles mit allem,
    MAKING ME SMILE AND MAKING ME FROWN
    alles, wofür die Sonne scheinen mußte, alles, was der Mond viel besser wußte.
    I’VE GOT TO KNOW IF THIS IS THE REAL THING
    Und plötzlich war es die Hymne der Meuterei.
    I’VE GOT TO KNOW WHAT’S MAKING MY HEART SING
    Rebellionsgesang! Aufruhr vor der Admiralskajüte!
    Die ganze Platte, Kicking Against The Pricks, war Leda

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